Fundstücke aus dem Landesarchiv Berlin, Folge 17

Fundstücke aus dem Landesarchiv Berlin, Folge 17

Am 28.1.1948 wurde das AEG-Gelände in der Ostendstraße offiziell enteignet und Iwan Wassiljewitsch Loschmanow als Vertreter der SAMD übergeben. Loschmanow war der neue Generaldirektor der Fabrik für Fernmeldeeinrichtungen „HF“, die spätestens im Herbst 1948 der SAG „Isolator“ eingegliedert wurde. Offizieller Firmenname war dann Staatliche Aktiengesellschaft „Isolator“, Zweigniederlassung in Deutschland, Betrieb: Werk für Fernmeldewesen „HF“ (Oberspreewerk), Berlin-Oberschöneweide, Ostendstraße 1-5.

Im Hausgebrauch blieb es jedoch noch bis Anfang der 1950er Jahre bei der Bezeichnung ‚OSW‘. Bis Herbst 1948 blieb das OSW „unter der Leitung des Büros für Wissenschaft und Technik. Der Charakter des Werkes und seine Tätigkeit blieben dieselben, ausgerichtet auf wissenschaftlich-technische Entwicklungsarbeit und in geringem Masse für Fabrikationszwecke.“[1] Erst ab Oktober 1948 erfolgte die Umstellung auf die Produktion als Hauptzweck dieses Werkes. So sahen es zumindest die Verfasser des Geschäftsberichtes für das Jahr 1948.
Ganz so unerwartet kam die Umwandlung des OSW vom Entwicklungs- zum Produktionsbericht aber doch nicht. Spätestens seit Ende Oktober 1947 bekamen die deutschen Verantwortlichen des OSW zu spüren, da seitens der sowjetischen Werkleitung neue Anforderungen an das Werk gestellt wurden, denn die schlechte Qualität etliche Produkte des Fertigungswerks wurde kritisiert.

Vorangegangen war eine Dienstreise des Major Tscherepnin nach Moskau, auf der er sechs „Verbraucherstellen“ besucht hatte, an denen mit Röhren aus dem OSW gearbeitet wurde. Sein Vorhaben, noch weitere ‚Kunden‘ des OSW in Moskau aufzusuchen, gab er dann schnell auf, da von allen 6 Besuchten dieselben Klagen kamen, sodass der Major zu dem Schluss kam, „dass es sich bei diesen Ausfällen um keine auffälligen, sondern um grundsätzliche Fehler“ handelte.[2]

Die ‚Kunden‘ nutzten nicht nur die Röhren aus dem OSW, sondern auch Röhren aus den USA und in der Sowjetunion, und selbst die waren ihrer Meinung nach besser als die aus dem OSW.

Reklamiert wurden Mängel bei den Röhren 6 AC 7, 6 AG 7, 6 J 6, 829 B,5 D 21,5 FP 7, 3 DP 1. Auch bei den Klystronen wurden die geringe Leistungsstärke und die kurze Lebensdauer kritisiert.

Bei den Bildröhren der Typen 5 FP 7 und 3 DP1 war gehäuft die Sockelung nicht in Ordnung und die Leuchtschicht ungleichmäßig aufgetragen. Bei einigen Bildröhren der Type 5 D21 befanden sich Bestandteile im Kolben, die da nicht hingehörten.[3]

Geliefert worden waren 1947 an die 5. Russische Hauptverwaltung Sende- und Empfängerröhren, inkl. Bolometer, Messlampen und Heißleitern im Wert von 2,229 Mio. RM, Bildröhren im Wert von 351.000 RM, Gleichrichterröhren für 37.000 RM und Röntgenröhren und Glühventile für 355.000 RM.[4]

Wie viele Bildröhren insgesamt im OSW 1947 hergestellt wurden, ist leider für 1947 nicht festzustellen. Aber die Tatsache, dass jede einzeln produzierte Bildröhre eine laufende Nummer erhielt, deutet darauf hin, dass es zahlenmäßig nicht so viele waren. Im Juni 1947 wurden von der Bildröhre 5 D 21 die Röhren mit der laufenden Nr. 401-414 geprüft, 9 waren davon mangelhaft.[5]

Zurückgeführt wurden alle diese Mängel auf eine mangelhafte Prüfung der Produkte im OSW vor dem Versand.[6]

Alarmiert von den Reklamationen wurde nun die Prüfung und der Versand der OSW-Produkte genauer kontrolliert. „Bei den durchgeführten Stichproben einer Partie der auf Lager versandbereit befindlichen gasgefüllten Röhren haben sich folgende Mängel und Unzulänglichkeiten erwiesen:
1) Die Verpackung ist unzureichend, um vor Beschädigungen bei Stößen und Erschütterungen zu schützen.“[7]

2) Röhren der Typen HBO 200, HBO 500 und NAE 24 waren weder mit Typenbezeichnung noch mit Herstellernamen beschriftet.

3) „Im Prüffeld fehlt eine präzise offizielle Vorschrift betr. der Prüfung und der Normen für den Ausschuss.“

Eine Folge dieser Stichproben war die Anordnung des sowjetischen (Noch-) Direktors Major Wildgrube, „Maßnahmen zu ergreifen zur Beschriftung aller Röhren (mit Angabe der Type und der Firma).“ Unbeschriftete Röhren dürften nicht mehr versendet werden. Außerdem sollte eine präzise Prüfvorschrift für Fertigfabrikate erstellt und dem sowjetischen Direktor zur Bestätigung vorgelegt werden. Zusätzlich sollten für alle Röhrentypen Etiketten eingeführt werden.

Auch das Problem der schlechten Sockel bei den Radioröhren 6 AC 7 und 6 AG 7 und Kathodenröhren 5 FB 7 und 3 DP 1 wurde von der sowjetischen Leitung angegangen. Hier verlangte Major Wildgrube sogar, dass die Personen genannt würden, die gepfuscht hatten, und damit „für die Störung der elementaren Fabrikationsordnung verantwortlich“ [8] waren.

Ende 1947 sollten alle noch zu liefernden Fertigfabrikate ordnungsgemäß gekennzeichnet, verpackt und mit Etiketten versehen sein. [9]

Das letzte Schreiben des sowj. Direktors des OSW, Major Wildgrube, an den deutschen Direktor des OSW, Herrn Bechmann, stammte vom 8. Dezember. Danach verabschiedeten sich die beiden Herren nicht nur aus den Akten des Landesarchivs, sondern auch aus der Geschichte des OSW. Das Büro der sowj. Werkleitung im Peter-Behrens-Bau wurde 1948 aufgelöst, stattdessen residierte der auch für das OSW zuständige sowjetische Generaldirektor des HF, Loschmanow, in der Bahnhofsstr. 110 in Lichtenberg. Was aus Major Wildgrube wurde, ist nicht überliefert.
Bechmann hatte zur ‚Erstausstattung‘ des LKVO gehört, war aber von der ‚Aktion Ossawakim‘ verschont geblieben und nach der Zwangsverpflichtung Steimels neuer deutscher Direktor des OSW geworden. Auch er verließ das Werk, ob nach dem Ärger mit den Röhrenreklamationen freiwillig oder nicht, ist nicht bekannt, jedenfalls soll er noch 1947 in den Westen gegangen sein.[10]

Wahrscheinlich war beiden der Abschied vom OSW nicht so schwergefallen, da sich spätestens seit den Reklamationen aus der Sowjetunion abzeichnete, dass die Tätigkeit des Fertigungswerks wesentlich stärker in den Fokus der sowjetischen Aufmerksamkeit geraten war als es die beiden Direktoren, die sich stärker für die wissenschaftlich-technische Ausrichtung des OSW interessierten, lieb sein konnten.

(Fortsetzung folgt)

Das Foto zeigt den Versuchsplatz für die Röhre 6 AC 7 aus dem Fotoalbum des LKVO aus dem Frühjahr 1946.

[1] Geschäftsbericht des OSW für das Jahr 1948, S.1, LAB, Rep. C 404, Nr. 154.

[2] Aktennotiz der Besprechung bei Major Wildgrube am 11.11.147 über Röhrenreklamationen, LAB, Rep. C 404, Nr.9, o-P.

[3] Vergl. Schreiben von Wildgrube an Bechmann vom 30.10.1947, LAB, Rep. C 404, Nr.6, o.P.

[4] Vergl. Geschäftsbericht des OSW für 1947, Industriesalon, Nr. 70047, S. 9.

[5] Vergl. Schreiben von Wildgrube an Bechmann vom 30.10.1947, LAB, Rep. C 404, Nr.6, o.P.

[6] Aktennotiz der Besprechung bei Major Wildgrube am 11.11.147 über Röhrenreklamation, LAB, Rep. C 404, Nr.9, o.P.

[7] Schreiben von Wildgrube an Bechmann vom 29.10.1947, LAB, Rep. C 404, Nr.6, o.P.

[8] Schreiben von Wildgrube an Bechmann vom 30.10.1947, LAB, Rep. C 404, Nr.6, o.P.

[9] Vergl. Schreiben von Wildgrube an Bechmann vom 25.11.1947 und vom 8. Dezember 1949, LAB, Rep. C 404, Nr.6, o.P.

[10] Vergl. Johannes Bähr, Das Oberspreewerk – ein sowjetische Zentrum für Röhren- und Hochfrequenztechnik in Berlin (1945-1952), in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte; Nr. 39 (1994), S. 145-165, S. 161.

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