Fundstücke aus dem Landesarchiv Berlin, Folge 1

Fundstücke aus dem Landesarchiv Berlin, Folge 1

Der Vorgänger des NEF  – die FAO (Fernmeldekabel- und Apparatefabrik Oberspree)

Wie schon in einem Beitrag zum Thema „Quellen zur Geschichte des WF“ berichtet, befinden sich im Landesarchiv Berlin in der Rep. C404 diverse Akten zur Geschichte des WF, vor allem aus den frühen Jahren des WF. Merkwürdig ist dabei, dass es dort aus der Zeit 1945 bis 1950 wesentlich mehr Unterlagen aus der NEF (Nachrichtentechnik-Entwicklung und Fabrikation) als aus dem LKVO/OSW gibt. Über die Gründe dafür lässt sich momentan nur spekulieren. Eine Möglichkeit könnte sein, dass die frühen Unterlagen aus LKVO/OSW früher entsorgt wurden als die der NEF, und zwar nicht ins Berliner Stadtarchiv, sondern in die Mülltonne. Eine zweite Möglichkeit könnte sein, dass umgekehrt die Unterlagen der NEF in den 1980er Jahren ins Stadtarchiv Berlin gegeben worden waren, weil das WF nun gar nichts mehr von der ehemaligen Produktionspalette dieses ehemaligen Werkteils im Programm hatte, während in der werksinternen Geschichtsschreibung das LKVO/OSW als Gründungsbetrieb des WF eine größere Rolle spielte und diese Akten daher weiter aufbewahrt wurden – bis zum Generalreinemachen 1993, als dann alle noch vorhandenen Unterlagen (außer den Bauakten) dem Landesarchiv Berlin übergeben wurden, wo bis jetzt noch niemand Zeit gefunden hat, diese 53,55 laufende Meter umfassenden Bestände archivalisch soweit aufzuarbeiten, dass Nicht-Archivmitarbeiter in diese Einsicht nehmen könnten.

Eine gute Gelegenheit, sich etwas intensiver mit der Geschichte der NEF zu befassen, denn vieles, was sich dort ereignete, dürfte sich nicht viel anders im LKVO/OSW abgespielt haben. Begründet werden kann diese Beschäftigung mit der NEF auch damit, dass die von der NEF in das Werk für Fernmeldewesen eingebrachten Produktionslinien erst endgültig 1960 durch eine Neugründung, den VEB Messelektronik Berlin (MEB), aus dem WF ausgelagert worden waren, indem Produktionszweige des Werks für Fernmeldewesen und des Funkwerks Köpenick zusammengefasst wurden. Als weiterer Grund, sich mit der NEF intensiver zu beschäftigen, ist auch, dass der Vorgänger der NEF, die FAO, bis 1945 weitaus größer als die RFO (Röhrenfabrik Oberspree) gewesen war.

Während in der RFO, für die 1938 an die rückwärtige Fassade des Peter-Behrens-Baus ein Neubau errichtet worden war, Elektronenröhren – teilweise als Lizenz der GEMA,[1] produziert wurden, existierte im FAO nicht nur die  Produktion, sondern auch eine Entwicklungsabteilung, davon zeugt die 40 Seiten umfassende Aufstellung von über 300 Patenten aus den Jahren 1938-1945[2], die den Sowjets bei der offiziellen Enteignung der AEG-FAO Anfang 1948 – entschädigungslos – übertragen wurden.

Lt. einer Aufstellung vom Juli 1945 belegte die FAO im Peter-Behrens-Bau insgesamt 15.000 qm, auch auf dem KWO-Gelände nutzte es noch in  Gebäude A3 2000 qm, in Gebäude A4 700 qm und im dortigen Lager 300 qm. Zum FAO zählte auch der spätere VEB FAF (Fernmeldekabel- und Apparatefabrik) in der Nalepastr. 72 mit 1500 qm, der später zum 1961 gegründeten Institut für Nachrichtentechnik (ITN) gehören sollte.[3] Des Weiteren hatte es Lager am Müggelseedamm (1200 qm), in Friedrichshagen (300 qm) und in der Parkstraße in Weißensee (1000 qm). Insgesamt also 22.000 qm, von denen 1800 qm durch Fliegerschäden nicht mehr benutzbar waren.[4]

Die aus dem KWO in den Peter-Behrens-Bau ausgelagerte und vergrößerte FAO[5] hatte im Geschäftsjahr 1938/39 als selbständiger AEG-Konzernbetrieb ihre Tätigkeit aufgenommen[6], vorher hatte sie nur als große Abteilung des KWO gegolten. Im 1. Geschäftsjahr 1939/40 zählte die FAO 1009 Angestellte und 3067 ArbeiterInnen, 1940/41 988 Angestellte und 3070 ArbeiterInnen und 1941/42 1034 Angestellte und 3502 Arbeiter. 1942/43 stieg die Anzahl der Angestellten auf 1219 und die der Arbeiter Innen auf 3840. In diesen Zahlen enthalten war nun aber auch ein kleines Zweigwerk in Bautzen. 1943/44 war die Zahl der Angestellten sogar noch auf 1320 gestiegen, die der Arbeiter war leicht auf 3350 zurückgegangen.[7] Spätestens ab 1942 wurden auch zahlreiche Zwangsarbeiter eingesetzt als Ersatz für zum Kriegsdienst eingezogenen Arbeiter.

Aus den hier aufgeführten Zahlen geht hervor, dass die FAO zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges der bedeutendere Betrieb auf dem NAG-Gelände in der Ostendstr. 1-5 gewesen war. Das sollte sich allerdings in den folgenden Jahren ändern … (Fortsetzung folgt)

Die Übersetzung des kyrillischen Unterschrift auf dem Beitragsfoto lautet: „Telefonapparatur für Linien hoher Leistung, hergestellt vom Werk FAO-AEG wird für Laborexperimente genutzt.“ Das Foto stammt aus einem 1946 von der NEF angelegten Fotoalbum.

[1] Vergl. Schmidt, Hans-Thomas: Vorgeschichte des OSW, undat.,

[2] Vergl. Anlage 8 zum Übergabeprotokoll, undat. (Jan.1948)in: LAB Rep.C404, Nr. 71, unpag.

[3] Vergl.  Heinz, Gerd: Digitalisierung des Telefons: Erste, integrierte Schaltkreise (IC) aus Ost-Berlin, undat.

[4] Vergl. Aufstellung „benutzbarer Raum der FAO“, 19.7.1945, in: LAB Rep. C404, Nr. 3, unpag.

[5] Vergl. Beitrag „Betriebsteile kommen und gehen – zum Beispiel das NEF“, 16.3.2021.

[6] Roesler, Jörg: Wiederaufbau des Kabelwerkes Oberspree (KWO) – Die Wirtschaftsentwicklung eines Berliner Großbetriebes in der Nachkriegszeit (1945/50), in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Sonderband, Berlin (Ost) 1986, S. 209-247, S.217.

[7] Vergl. Aufstellung „FAO-Umsätze“, unterzeichnet vom NEF-Buchhalter Siegert, 9.1.1948, in: LAB C404, Nr. 68, unpag.

 

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