Fundstücke aus dem WF-Sender, Folge 3

Fundstücke aus dem WF-Sender, Folge 3

»Was geschah am 17. Juni 1953?«
lautet die Überschrift eines Artikels auf der Jugendseite (S. 6) in der Ausgabe der Betriebszeitung WF-Sender Nr. 24/89 (3. Juniausgabe).
Es mutet etwas merkwürdig an, dass der 17. Juni 1953 auf der Jugendseite 1989 besprochen wurde, obwohl nicht einmal ein runder Jahrestag dieses Volksaufstands anstand. Es ist das erste Mal, dass im WF-Sender überhaupt über die Ereignisse am 17. Juni 1953 geschrieben wird, abgesehen von den Flugblattausgaben 1953, die in den Wochen unmittelbar nach dem 17. Juni 1953 erschienen waren.
Die Darstellung entspricht der bereits im Juni 1953 entwickelten Erklärung: „Der Imperialismus verfolgte mit unbändigem Hass die Entwicklung der DDR. Vom Zusammenbruch, der von alleine vor sich gehen sollte, konnte keine Rede mehr sein. Stabsmäßig ging man also daran, die DDR zu beseitigen.“ Inszeniert und provoziert worden sei der Aufstand von den Westmächten, die demonstrierenden DDR-Bürger seien dazu von westlichen Provokateuren verleitet worden, die auch hauptsächlich für die ‚Exzesse‘ verantwortlich gewesen seien.  „Die Feinde der jungen neuen Ordnung, vor allem jenseits der Staatsgrenze, gaben keine Ruhe und riefen zum Sturz der Regierung und zum Generalstreik auf. Gruppen aus Westberlin hielten die Stunde für gekommen, mit dem Kommunismus abzurechnen. […] Der sowjetische Stadtkommandant reagierte darauf und verhängte ab 13.00 Uhr den Ausnahmezustand. Kommunisten und aufrechte Demokraten stellten sich den Feinden der DDR entgegen. Die Hintergründe der Provokation wurden allen erläutert. Nach 24 Stunden war der gesamte Spuk zu Ende.“ Dass dieses ‚Erläutern‘ 55 Tote verursacht hat, wird in diesem Artikel nicht erwähnt.

Bekanntlich ist die Darstellung im Westen eine andere und es wird in der BRD auch nicht von einem Generalstreik, sondern von einem Volksaufstand in über 700 Orten der DDR gesprochen, an dem bis zu 1 Mio. Menschen teilnahmen.

Basis dieses Artikels im WF-Sender war das Buch von J. Heise und J. Hofmann mit dem Titel »Fragen an die Geschichte der DDR«, das 1988 vom Zentralrat der FDJ in Zusammenart mit der Akademie für Gesellschaftswissenschaft beim Zentralkomitee der SED herausgegeben worden war. Es stellt sich die Frage: Warum erinnerte der WF-Sender erst jetzt – als die Unzufriedenheit in der DDR wegen der bekanntgewordenen Wahlmanipulationen im Mai 1989 ‚gärte‘ – daran, dass »der Imperialismus […] mit unbändigem Hass die Entwicklung der DDR« verfolgte?
In der Betriebszeitung ‚Der Trafo‘ des Transformatorenwerks (TRO) findet sich kein Artikel zum 17. Juni, es scheint also nicht von oben herab angeordnet worden zu sein, darüber zu berichten.

Die Ausgabe mit dem hier besprochenen Artikel auf S. 6 finden Sie hier:
https://berlin.museum-digital.de/object/70622?&suinin=29&suinsa=552

Kommentar verfassen

Entdecke mehr von WF-Museum

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen