Am 11.11., 11.11 Uhr versammelten sich einige Freunde und Kollegen, um einen Elferrat zur Vorbereitung des Karnevals in unserem Betrieb zu gründen. Der Betriebsfunk brachte bereits eine Reportage darüber. Was im Einzelnen beschlossen wird, darüber ist noch nichts bekannt. Was bekannt ist, ist der innerbetriebliche Karnevalsruf: „Dufte“ und die närrische Losung, unter der die Karnevalszeit verlaufen soll. Sie lautet: „Entfaltet die Übererfüllung der Entfesselung eines närrischen Karnevals um 187,9 Prozent“, weiß „Mulle“ in seiner Kolumne im HF-Sender im November 1954 zu berichten.[1]
„Am 19. Februar steht das Klubhaus Kopf!!! Es ist passiert. Der Elferrat, das karnevalistische Vorbereitungs- und Festkomitee, hat beschlossen, das Kulturhaus am 19. Februar in einen Narrentreffpunkt zu verwandeln. Alle närrisch veranlagten Kolleginnen und Kollegen sollten deshalb nicht versäumen, am 19. Februar ins Kulturhaus zu eilen, um sich mit dem Berliner Karnevalsruf: „Hinein“ in die hochschlagenden Wogen des närrischen Treibens zu stürzen. Was ist geplant? Ein Narrenfest, wie es in unserem Betrieb erstmalig steigt. Beginn 20.11 Uhr. Einzug des Elferrates 21.11 Uhr. Triumphzug des Karnevalsprinzen (Prinz Hugo des Zerfranzten) durch das Kulturhaus, Verkündung der närrischen Gesetze (Narrenfreiheiten, Kussfreiheit) Büttenreden und Tanz bis zum Morgengrauen. Dazwischen karnevalistische Knallbonbons und Überraschungen. Die Vorbereitungsarbeiten sind im Gange, wenn alles klappt, kann nichts mehr schief gehen. Die Eintrittskarten liegen schon bereit und warten nur noch darauf, gekauft zu werden. Sie werden verkauft durch die Gruppenleiter der FDJ und im FDJ-Sekretariat im 5. Stock am Lichthof. Zu einem richtigen Narrenfest gehört wie schon gesagt, der Elferrat und ein Karnevalsprinz mit Prinzessin. Zum Elferrat gehört die „Funkengarde“. Kolleginnen, so ihr in der Funkengarde mitwirken wollt, meldet euch beim Kollegen Nissel — Betriebsfunk im 5. Stock. — Mit dieser Aufforderung will ich für heute schließen und verabschiede mich mit dem Ruf: „Hinein“! In Bälde sollt ihr mehr von den Vorbereitungen hören“ [2], kündete derselbe Kolumnist in der Ausgabe des WF-Senders vom 2. Februar 1955 an.
In den 1955 erschienenen WF-Sendern gibt es keinen Bericht über die stattgefundene Faschingsfeier, aber sie scheint ein Erfolg gewesen zu sein, den 1956 fand erneut Fasching im WF-Kulturhaus mit 4 Kapellen in allen Etagen des Kulturhauses statt.
„Die Karnevalszeit ging zu Ende … am 18. Februar im Kulturhaus. Viel gibt es darüber nicht mehr zu sagen. Auf Grund des Maskenzwanges waren diesmal sehr viele im Kostüm erschienen, vom Kleinstaat-Prinzen über den Seeräuber bis zur spärlich bekleideten Haremsdame war alles vertreten, sogar ein Roboter war erschienen- ganz toll mit Peilantenne und Signallampen. Die Klaviere waren gestimmt, so dass allenthalben gute Stimmung herrschte, Es war, wie man zu sagen pflegt, eine gelungene Veranstaltung. Unserer FDJ-Betriebsgruppe sei dafür herzlich gedankt.
Besonders gedankt sei diesmal noch unserer Werkleitung und unserer BGL, denn ihre offiziellen Vertreter waren so total verkleidet und maskiert erschienen, dass sie für die Dauer des gesamten Abends von niemand erkannt wurden und so der Eindruck entstand, dass sie nicht gekommen sind“, lautet Mulles Bericht im der Ausgabe des WF-Senders vom 22. Februar 1956.[3]
Organisiert worden waren diese beiden Faschingsfeiern größtenteils von der FDJ, die Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) scheint sich bei den Vorbereitungen und der Durchführung sehr zurückgehalten zu haben. Ihrer Meinung nach war der Karneval eine Angelegenheit der Jugend und deren Organisation, der FDJ. Die beiden Karnevalsfeiern fielen in eine Zeit, als im WF (damals noch HF) eine Kampagne lief, die FDJ-Organisation im Werk zu stärken und sie attraktiver zu machen für die vielen jungen Leute – vor allem die vielen Mädchen in der Produktion – im Werk. Mehrmals wurde auch in Artikeln über die Arbeit der FDJ im WF extra auf die Karnevalsfeiern – quasi als Aushängeschild – hingewiesen. Insofern war die ironische Kritik Mulles an der fehlenden Unterstützung seitens der BGL sehr berechtigt.
So wunderte es auch nicht, dass die FDJ-Organisation nicht mehr mit ganz so viel Elan an die Organisation der Faschingsfeier 1957 ranging. Noch Anfang Februar 1957 war nichts richtig organisiert außer Termin (23. Februar) und Ort (WF-Kulturhaus), und das, obwohl die BGL nun endlich ihre Unterstützung zugesagt hatte.[4]
Bei der schlechten Organisation wunderte es auch nicht, dass diese Faschingsfeier ziemlich aus dem Ruder lief. Jede Menge junge Leute, die nicht zur WF-Belegschaft gehörten, war erschienen, ein großer Teil ohne Kostüm, aber dafür mit viel Interesse an alkoholischen Getränken und lauter Musik. „Fasching oder Ball der Halbstarken“ war dann auch der Beschwerdebrief des Kulturfunktionärs der AGL IV, der im WF-Sender veröffentlicht wurde, betitelt.[5]
Nach diesem Fiasko war dann erst einmal für einige Jahre Schluss mit lustig, Karneval oder Fasching für die Jugendlichen und Erwachsenen fiel in den nächsten Jahren im WF flach, lediglich in den Kindergärten wurde Fasching gefeiert.
Erst 1963 gab es den nächsten Anlauf, diesmal von der Betriebszeitung WF-Sender organisiert. Nachdem über das Jahr verteilt mehrere Interviews mit jüngeren Mitarbeiterinnen veröffentlicht worden waren, in denen diese bedauerten, dass es keine Faschingsfeier mehr im WF mehr gebe, kündigte der WF-Sender in seiner Ausgabe vom 10. Dezember 1963 die nächste große Karnevalsfeier im WF-Kulturhaus im Terrassensaal am 15. Februar 1964 an. Der Berichterstattung nach war dieses Fest ein voller Erfolg. [6]
Auch im folgenden Jahr fand wieder eine Faschingsfeier im Kulturhaus statt, die aber weniger gut besucht als die vom Vorjahr gewesen zu sein scheint.[7] 1966 gab es sogar zwei Faschingsbälle im WF-Kulturhaus, der eine von der Abt. Brufsbildung organisiert und der andere für die allgemeine Öffentlichkeit.[8]
Aber auch die Öffentlichkeit scheint nicht so sehr am WF-Fasching interessiert gewesen zu sein, jedenfalls finden sich in den nächsten Jahren im WF-Sender keine Hinweise auf einen WF-Fasching, sondern es wurde allenfalls auf andere Faschingsveranstaltungen in Köpenick hingewiesen.
Erst 1973 startete die nächste WF-Faschingsfeier, als die X. Weltfestspiele der Jugend ihren Schatten vorauswarfen, organisiert wieder von der FDJ. Im WF-Sender wurde auch nur auf der Jugendseite Hinweise darauf gegeben.[9]
1974 gab es wohl keine WF-Faschingsfeier, dafür wurde 1975 gleich an zwei Tagen Fasching m Kulturhaus unter dem Motto „Von der Steinzeit zu den Rittersleut“ angeboten. Obwohl als FDJ-Fasching angekündigt, war diesmal die BGL der Organisator.[10] Im folgenden Jahr kehrte man wieder zu einem Faschingsabend unter dem Motto „Jetzt schlägts 13“ zurück, bei dem auch Nina Hagen auftrat.[11]
Die nächsten zwei Jahre findet sich keine große WF-Faschingsfeier-Ankündigung in der Betriebszeitung. Wenn gefeiert wurde, dann im Jugendklub oder in den Abteilungen im kleineren Rahmen. Erst 1976 gab es wieder eine große WF-Faschingsfeier im Kulturhaus, nun nicht mehr als FDJ-Fasching, sondern als Jugendfasching angekündigt, wieder mit Elferrat und Prinzenpaar, wie sich das zu Karneval gehört. [12]
Danach war erst einmal wieder eine längere Pause. 1981 ging es dann weiter mit den großen WF-Faschingsfeiern im Kulturhaus. Diesmal hatte man sich neben „Biggis Böse Buben Band“ auch noch ‚professionelle‘ Unterstützung vom Karnevalsverein Wildau geholt, der die Veranstaltung mit Funkenmariechen u.a. aufpeppte.[13] Auch Mitglieder des Kollektivs „Target“ nahmen an diesem Event teil. Die Kolleginnen „zeigten, was sie unter ihrer Clean-room Kleidung verborgen hielten, Beine. Die Männer hingegen zeigten sich im dezenten Räuber- oder Lumpenlook“, heißt es in dem Bericht im Brigadebuch über „das karnevalistische Großereignis unserer Brigade“.[14]
Wer diese Karnevalsfeier organisiert hatte, wird leider nicht berichtet. Jedenfalls nicht die die FDJ, denn die veranstaltete eine Woche später eine eigene Faschingsfeier – ohne Karnevalsverein-Unterstützung – im Kulturhaus, die nicht auf 100% auf Zustimmung traf. Kostüme waren zwar angesagt, man hatte sogar einen Maskenbildner vom Deutschen Theater engagiert, getanzt wurde auch, da brachte ein Turniertanzpaar die richtigen Polkaschritte bei, aber es fehlte das übliche Karnevalbrimborium wie Elferrat, Karnevalsprinz etc. Jedenfalls fühlte sich die Organisatoren aus der FDJ ob der Kritik genötigt, im WF-Sender eine Stellungnahme zu veröffentlichen unter dem Titel „FDJ-Karneval im Kulturhaus – zwschen Trafition und Alternative“ und auf ihre intensiven Vorarbeiten für die Organisation dieser Feier hinzuweisen.[15]
Trotz der Erfolge der Faschings-/Karnevalsveranstaltungen scheint es 1983 und 1984 keine Fortsetzung gegeben zu haben, vermutlich musste die FDJ erst einmal wegen der Kritik ihre Wunden lecken. Erst 1985 brachte die seit 1984 tätige neue FDJ-Kulturfunktionärin den Karnevalskarren wieder in Rollen, so dass 1985 und 1986 erneut im WF-Kulturhaus Faschingsfeiern stattfanden. Danach erlahmte auch der Elan dieser Kulturfunktionärin, und es fanden nur noch Faschingsfeiern im Jugendclub statt.[16]
1989 lud dann der Kulturhausleiter zum bunten Faschingstreiben ein, erneut unterstützt vom Wildauer Karnevalsverein.[17] Auch vom Mauerfall ließen sich die Karnevalsfreunde im WF nicht die Feierlaune verderben und Anfang März 1990 fand – wieder mit Unterstützung aus Wildau – ein letztes Mal eine große WF-Faschingsfeier im Kulturhaus statt.[18]
Leider gibt es nur wenige Quellen zum Thema Fasching für Jugendliche und Erwachsene im WF. Am informativsten ist hier noch die Betriebszeitung WF-Sender, wobei auch nicht jede stattgefundene Feier mit einem Bericht gewürdigt wurde. Häufig wurden nur die Termine angekündigt. Von den Brigaden und Kollektiven aus dem WF, von denen sich Brigadebücher im Industriesalon befinden, fand nur das Kollektiv „Target“ die WF-Faschingsfeiern berichtenswert, die anderen erwähnen sie nicht. Auch im Fotoarchiv des WF finden sich nur Fotos von Kinderfaschingsveranstaltungen in den 1950er Jahren. Fotos auf den Erwachsenenfeiern wurden entweder von Redakteuren des WF-Senders oder werksfremden Fotografen aufgenommen, so dass es leider keine Anzüge oder Negative dazu im WF-Fotoarchiv gibt.
Die Abbildung stammt aus dem Brigadebuch des Kollektivs Target für das Jahr 1985.
[1] WF-Sender 43, 8. 11. 1954, S. 4.
[2] WF-Sender Nr.4, 2.2.1955, S. 3.
[3] WF-Sender 8, 22.2.1956, S. 3.
[4] Vgl. Art. „Wieder Karneval im Kulturhaus?“, WF-Sender, 4, 1.2.1957, S. 3.
[5] WF-Sender 8, 1.3.1957, S. 3.
[6] Vergl. WF-Sender 49, 10. 12.1963, S. 1 und WF-Sender Nr. 9, 2.3.1964, S. 7.
[7] Vergl. WF-Sender 6, 11.2.1965, S. 1.
[8] Vergl. WF-Sender 2, 17.1.1966, S .2 und WF-Sender 6, 14.2.1966, S.7.
[9] Vergl. WF-Sender 6/73, S. 6.
[10] Vergl. WF-Sender 8/75, S. 6.
[11] Vergl. WF-Sender 2/76, S. 8 und WF-Sender 10/76, S. 6.
[12] Vergl. WF-Sender S. 3/79, S. 6 und WF-Sender 9/79. S. 6.
[13] Vergl. WF-Sender 8/81, S. 7.
[14] Brigadebuch des Kollektivs Target für das Jahr 1981, S.29.
[15] Vergl. WF-Sender 11/81, S. 6.
[16] Vergl. WF-Sender 1/84, S. 6, WF-Sender 2/85, S. 6, WF-Sender 3/86, S. 6, WF-Sender 4/88, S. 8, Brigadebücher des Kollektiv Targets für die Jahre 1985 und 1986.
[17] Vergl. WF-Sender 2/89, S. 4.
[18] Vergl. WF-Sender 2/89, S. 4, WF-Sender 2/90 S. 8.