Zwei Seelen wohnen, ach! in der sowj.Brust – Demontage oder Nutzung des Know-Hows vor Ort
Am 25. Juli 45 meldete sich Direktor Zimmermann krank[1] und entschwand damit aus den Akten der FAO im Landesarchiv. Das deutsche Kommando übernahm nun Oberingenieur Fricke, der schon seit längerem bei der FAO arbeitete und bereits seit Juni 45 die meisten internen Angelegenheiten in der FAO geregelt hatte.
Auch im Juli versuchte die AEG-Fabrikenleitung mit einer Eingabe bei den russ. Behörden die Demontage zu stoppen, indem sie darauf hinwies, dass nur das FAO und das schon weitgehend demontierte Werk von Siemens in der Lage seien, die Fernkabelverbindungen der Reichsbahn und der Post wieder zu reparieren. Die AEG-Hauptverwaltung konnte aber Ende Juli auch noch nicht sagen, ob diese Eingabe Erfolg haben würde.[2]
Während die Kreissägen quietschten, um Holz für die Kisten zuzusägen, LKWs die beladenen Kisten abholten, die Demontage voll im Gange war und die AEG versuchte, den Abbau aufzuhalten, werkelten andere, darunter auch Fricke, an einem Konzept für die „Einrichtung eines wissenschaftlich-technischen Büros in den Räumen der ehemaligen FAO“ ohne AEG-Beteiligung, das am 28. Juli 45 Oberst Iwanow in deutscher und russischer Fassung übergeben wurde.
Es müssen vor diesem Treffen schon Vorgespräche stattgefunden haben, denn Dr. Martin Kluge, der vermutlich auch dieses Konzept verfasst hatte, schreibt in einer überarbeiteten Fassung: „Es ist die Aufgabe gestellt, Vorschläge für Organisation und Besetzung eines „technischen Büros für Drahtnachrichtentechnik“ auszuarbeiten. Das Büro soll aus deutschen Fachleuten mit dem Sitz in Berlin gebildet werden und ein Organ der russischen Fernmeldeindustrie sein. Sein Arbeitsgebiet soll sich auf die Ortsnetztechnik, den Fernsprechweitverkehr und die Fernschreibtechnik (Telegrafie) erstrecken und Übertragungsleitungen sowie Apparaturen betreffen.“[3]
Kluge war in der FAO in der Forschung und Entwicklung beschäftigt und seit 1938 auch an einigen Patenten beteiligt gewesen.[4] Sein Fachgebiet dürfte der Fernsprechweitverkehr gewesen sein, denn bei den Personalvorschlägen für das Büro schlug er sich selbst als Leiter dieses Forschungsbereiches vor.
Bei der Besprechung war „der Wunsch von Herrn Obert Iwanow […], dass der Umfang des technischen Büros gleich auf ca. 200 Personen festgelegt werden soll. Es wurde festgestellt, dass für diesen Umfang die gesamte 2. Etage notwendig sei. Die Einrichtung soll beschleunigt weiterbetrieben werden.“ [5] Oberst Iwanow fordert auch gleich, dass ihm Personalvorschläge bis zum 5. August unterbreitet werden sollten.
Interessant war für die Sowjets, die mit Fricke und Kluge verhandelten, vor allem die Idee, dass in diesem technischen Büro nicht nur Leute von der FAO, sondern auch von Siemens arbeiten sollten. Auch bei einigen Siemensingenieuren und -entwicklern gab es sehr wohl die Bereitschaft, für die sowjetische Besatzungsmacht zu arbeiten, es hatte sich bereits ein Ingenieur-Büro bei der technisch-russischen Regierungskommission in Berlin gebildet. Bevor Oberst Iwanow der Vorschlag überreicht wurde, fuhr erst einmal ein FAO-Mitarbeiter zu diesem Ingenieur-Büro, um nachzufragen, ob die „dort untergebrachten Siemens-Ingenieure bereits durch russische Verträge gebunden sind und wie diese Verträge lauten.“[6] Obwohl einige leitende Siemens-Herren sogar bereit waren, in der Sowjetunion zu arbeiten, hatte noch keiner einen Vertrag unterzeichnet.
Und so konnte Martin Kluge bei den Personalvorschlägen am 7. August aus dem Vollen schöpfen: als Leiter der Abteilungen Messgeräte, Fernschreibanlagen, Fernsprechgeräte und Vermittlungen sowie Stromversorgungstechnik schlug er Fachmänner von Siemens vor, für Fernmeldekabel und Fernmeldefreileitungen interessanterweise niemandem von KWO, sondern Herren von Felten & Guilleaume, und von der AEG nur sich selbst. (Von den Herren, die er hier aufzählte, arbeitete übrigens 1946 keiner bei diesem technischen Büro für Nachrichtentechnik.[7])
Kluge sah zwei Aufgabenbereiche für das neuzugründende Büro: Möglichkeit A war, dass es nur als „beratendes Ingenieursbüro für Übertragungstechnik“ wirken sollte, und Möglichkeit B, dass auch die „Entwicklung von Verfahren, Leitungen und Geräten bis zur fertigungsreifen Konstruktion und der Ausarbeitung von ausführlichen Fertigungsanweisungen durchgeführt werden“ sollte.
Für Möglichkeit B wurde am 10. August ein weiterer „Vorschlag zur Errichtung eines Werkzeugbaues“[8] gemacht. Begründet wurde die Zweckmäßigkeit einer angegliederten Werkzeugbau-Abteilung damit, dass jahrelange Erfahrungen in der FAO gezeigt hätten, dass „Mängel konstruktiver Art, die sich während des Baues der Werkzeuge ergeben, vor der Fertigstellung behoben werden können“. Fricke & Co. gingen davon aus, dass das neueinzurichtende Büro sozusagen die in Berlin verbleibende Forschungs- und Entwicklungsabteilung der nach Leningrad verlagerten Apparatebau- und Spulenfabrik sein würde und berechneten danach den Personal-, Maschinen- und Raumbedarf.
Offensichtlich sahen die sowjetischen Auftraggeber das aber anders.
(Fortsetzung folgt)
Die Übersetzung der Bildunterschrift lautet: Entladen einer Lieferung für die Ausstattung des Technischen Büros.
[1] Vergl. Schreiben an Prof. Rachel/ AEG vom 30.7.1945. in: LAB, Rep.C404, Nr.3.
[2] Vergl. „Bericht über einen Besuch in der AEG-Hauptverwaltung“ am 31.7.1945 von Lenz (?) vom 2.8.1945, in: LAB, Rep.C404, Nr.3.
[3] Aktenvermerk Betr.: „Plan eines technischen Büros für Drahtnachrichtentechnik“ von Martin Kluge vom 7.8.1945, in: LAB, Rep.C404, Nr.3.
[4] Vergl. Aufstellung von Patenten der FAO, in: LAB, Rep. C404, Nr.71.
[5] Aktenvermerk Betr. Einrichtung eines wissenschaftlich-technischen Büros in den Räumen der ehemaligen FAO, unterzeichnet von Fricke, vom 30.7-1945, in: LAB, Rep.C404, Nr.3.
[6] Notiz Betrifft: Besuch beim Ingenieur-Büro der Technisch-Russischen Regierungskommission am 26. Juli 1945, unterzeichnet von Sprott (?) vom 28. Juli 1945, in: LAB, Rep. C404, Nr. 77.
[7] Vergl. Bildlegende zum Foto mit den leitenden Angestellten m NEF-Album vom Frühjahr, https://berlin.museum-digital.de/index.php?t=objekt&suinin=29&suinsa=607&oges=93490
[8] Vorschlag zur Einrichtung eines Werkzeugbaues, unterzeichnet von Fricke, vom 10. 8.1945, in: : LAB, Rep. C404, Nr. 77.