Fundstücke aus dem Landesarchiv Berlin, Folge 11

Fundstücke aus dem Landesarchiv Berlin, Folge 11

Was war am Anfang wichtig für die Belegschaft: Essen für alle … und später Urlaub und möglichst keine Akkordarbeit

Während aus den Akten über die Vorbereitungen für die Gründung des NEF nicht zu entnehmen ist, wann das NEF offiziell seinen Betrieb aufgenommen hatte, geht dies aus dem Protokoll der Besprechung zwischen sowjetischer Werkleitung, deutscher Geschäftsführung und Betriebsrat vom 25. April 1946 hervor. Anlässlich der Frage nach den zustehenden Urlaubstagen für die Belegschaft teilte die russische Werkleitung mit, dass sich für die SMAD alle Angestellten und Arbeiter des NEF im ersten Dienstjahr befänden, da das NEF am 1. Oktober 1945 seine Tätigkeit aufgenommen habe[1]  und eine vorhergehende Tätigkeit bei der FAO nicht berücksichtigt werde.

In den ersten Monaten des Bestehens des NEF ging es aber nicht um Urlaub, sondern um das Mittagessen für die Belegschaft. Bei allen Vorbereitungen und Diskussionen über die Aufgabenbereiche und maschinelle Ausstattung des NEF war offensichtlich nicht das Thema „Werkspeisung“ ausführlich genug behandelt worden. Recht oberflächlich war im Protokoll der Besprechung vom 18. September 1945 festgehalten worden, dass jedes Belegschaftsmitglied einen Verpflegungszuschuss erhalten solle.[2] Problem war nur, dass die Kollegen angesichts der schlechten Versorgungslage im Herbst 1945 weniger an einem Verpflegungszuschuss als an einem vernünftigen warmen Mittagessen im Betrieb interessiert waren. Und das gab es nur für die Herren Ingenieure und Techniker, die mühsamst in ganz Berlin angeworben worden waren und von der sowjetischen Werkleitung gehegt und gepflegt wurden. Vorstöße des Betriebsrats im November 1945, statt immer dieselben 90 Spezialisten in den Genuss der warmen Mahlzeit kommen zu lassen, diese Essen rotierend zu vergeben, wenn nun mal die Zahl der Essensplätze begrenzt sei, wurden von der sowjetischen Werkleitung strikt abgelehnt. Am Spezialisten-Essen durfte nichts geändert werden.[3]  Es war vor allem dem Engagement der deutschen Geschäftsführung unter Fricke zu verdanken, die alles Mögliche unternahm, um die Werkküche zu erweitern und Kartoffeln und Gemüse heranzuschaffen, dass ab 26. November alle 326 Belegschaftsmitglieder ein Mittagessen bekamen, wenn auch nicht so gehaltvoll wie das der Spezialisten. Auch der russische Werksleiter Oberstleutnant Golubzow unterstützte diese Bemühungen und organisierte Benzin und die erforderlichen Stempel für Kartoffelbeschaffungsfahrten. Außerdem schaffte er es, zusätzliche Schwerstarbeiterkarten aufzutreiben, die dann der allgemeinen Verpflegung zugutekamen.[4]

Mitte Dezember 1945 waren es bereits 354 Belegschaftsmitglieder, die ein Mittagessen bekamen. Die Preise für das Essen waren nach den Stundenlöhnen gestaffelt. 9 Personen (2 %) verdienten 30 Pf. pro Stunde und mussten für das Mittagessen nichts bezahlen. 75 (21 %) bekamen zwischen 30 und 75 Pf. pro Stunde, ihnen wurde 30 Pf. pro Mahlzeit berechnet. 38% (136) erhielten bis zu 1,25 RM stündlich, für sie kostete das Mittagessen 60 Pf. 80 Pf. hatten die 69 (19 %) zu bezahlen, die bis zu 2,00 RM pro Stunde verdienten und 1,00 RM die 65 (18 %), die über 2,00 RM Stundenlohn bezogen.[5]

Und die Mitarbeiterzahl stieg weiter am 1. Mai 1946 waren dort bereits 822 Personen beschäftigt.[6]

Ende 1945 war Oberstleutnant Golubzow nach Moskau zurückgekehrt und hatte Major Stein und seinem Vertreter ernannt.[7] Da Golubzow nicht wieder ins NEF zurückkehrte, wurde Major Stein der sowjetische Werksleiter.

Eine von Steins ersten Amtshandlungen war, dass er Anfang Januar 1946 monierte, dass der Werkzeugbau nicht genügend produziere und die dort Beschäftigten täglich länger arbeiten sollten, um das Defizit zu beheben. Genannt wurden dabei 11 bis 12 Stunden täglich.[8] Bereits Mitte Januar 1946 war es dann die Aufgabe des Fabrikationsleiters Rudi Müller, sich Gedanken über die Einführung eines Prämiensystems im Werkzeugbau Gedanken zu machen. Zwar versuchte er als gutes KPD-Mitglied klarzustellen, dass das von der russischen Werksleitung verlangte System ja im Gegensatz zum früheren Akkordsystem einen garantierten Stundenlohn biete, aber dennoch nutzte auch er noch den Begriff Akkordsystem.[9] In den nächsten Jahren sollte statt dieses kapitalistisch anmutenden Begriffs Akkordarbeit dann der Begriff Leistungslohn treten.
Im Juli 1946 war man mit der Ausarbeitung der Akkord-Normen auch noch nicht so richtig weitergekommen, zumal Akkordarbeit von der Belegschaft größtenteils abgelehnt wurde.[10]

Dem NEF zunächst abhandengekommen war seit Februar/ März 1946 der Fabrikationsleiter Rudi Müller, er taucht nicht mehr in den Besprechungsprotokollen auf und wird auch nicht in dem im Juni 1946 entstandenen Organigramm des NEF genannt. Im Juni 1946 ist Fricke für Verwaltung und Produktion zuständig. Zur Verwaltung gehörten auch die Abt. Personalverwaltung, der Speisebetrieb und der Werksschutz, [11] die aber Anfang 1947 ausgegliedert und dem neugegründeten Direktorat für Soziales und Personal zugeschlagen wurden. Direktor wurde der zur NEF zurückgekehrte Rudi Müller.[12]

Das Foto, das die Essensausgabe in der Kantine des NEF zeigt, stammt aus dem NEF-Fotoalbum vom Juni 1946.

 

[1] Vergl. Besprechung zwischen sowj. Werkleitung, deutscher Geschäftsführung und Betriebsrat, 25.4.1946, in: LAB Rep. C404, Nr.4.

[2] Vergl. Protokoll der Besprechung vom 18.9.1945, in: LAB Rep. C404, Nr.77.

[3] Vergl. Besprechung zwischen sowj. Werkleitung und Betriebsrat, 14.11.1945, in; LAB Rep. C404, Nr.4.

[4] Vergl. Besprechung zwischen sowj. Werkleitung, deutscher Geschäftsführung und Betriebsrat, 26.11.1945, in: LAB Rep. C404, Nr.4.

[5] Vergl. Besprechung dt. Geschäftsführung und Betriebsrat, 12.12.1945, in: LAB Rep. C404, Nr.4.

[6] Vergl. Informationstext im NEF-Album, Juni 1946, Industriesalon Oberschöneweide.

[7] Vergl. Besprechung zwischen sowj. Werkleitung, deutscher Geschäftsführung und Betriebsrat, 29.11.1945, in: LAB Rep. C404, Nr.4.

[8] Besprechung zwischen sowj. Werkleitung, deutscher Geschäftsführung und Betriebsrat, 3.1.1946, in: LAB Rep. C404, Nr.4.

[9] Vergl. Besprechung dt. Geschäftsführung und Betriebsrat, 25.1.1946, in: LAB Rep. C404, Nr.4.

[10] Vergl. Besprechung dt. Geschäftsführung und Betriebsrat, 18.7.1946, in: LAB Rep. C404, Nr.4

[11] Vergl. Schaubild Personalverteilung der NEF vom 10.12.1946, in: LAB C404, Nr. 1.

[12] Vergl. NEF-Organisationsplan, 1.2.1947, LAB C404, Nr. 1.

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