Farbfernsehen in der DDR schon vor dem Mauerbau?

Farbfernsehen in der DDR schon vor dem Mauerbau?

von Peter Salomon

Allgemein bekannt ist, dass offiziell zum 20. Jahrestag der Gründung der DDR das Farbfernsehen in der DDR eingeführt wurde. Ist das wirklich so gewesen, oder gab es dazu nicht schon weit vorher Initiativen?

Weit weniger bekannt ist, dass es bereits vor dem Mauerbau Bestrebungen gegeben hat, die Farbfernsehtechnik in der DDR zu entwickeln. Dem zufolge jährte sich im vorigen Jahr – 2021 – zum 60. Male der erste Versuch das Farbfernsehen in der DDR zu etablieren.

Pandemie-bedingt konnte dieses Ereignis leider nicht in der entsprechenden Form gewürdigt werden.

Hier nun der Bericht dazu, der sich im Wesentlichen auf eine diesbezügliche Artikelserie [1] in der Hauszeitung “WF-Sender“ vom Dezember 1960 des VEB Werk für Fernsehelektronik Berlin (WF) stützt, sowie dem Vortrag „Fernsehtechnik aus Berlin – Teil 3“ vom 23.06.2011, gehalten von Heinz Fuhrmann, ehemals Direktor für Technik der VVB Bauelemente und Vakuumtechnik (BuV).

Initiator dieses spannenden Themas war Dr.-Ing. Peter Neidhard aus dem WF. Neidhardt kam als „SU-Spezialist“ Anfang der 1950er Jahre wieder zurück in die DDR und hatte wie alle anderen (z.B. Ardenne, Thiessen, Hartmann, Falter) besonderes Ansehen als Person und Wissenschaftler. Nur so ist zu erklären, dass er jahrelang in Eigeninitiative ein derartiges F/E-Projekt betreiben konnte, wo doch die Prioritäten seitens Partei und Regierung ganz woanders lagen: Aufbau der Schwerindustrie und Chemisierung in der DDR.

Aufbauend auf den Überlegungen Manfred von Ardenne zum Farbfernsehen aus dem Jahre 1938  (man kannte sich aus der Zeit in der UdSSR) hatte Neidhard nicht nur die funktionsbestimmende Farbbildröhre B43G4C – das Colorskop – entwickelt (ein Exemplar kann im Industriesalon Schöneweide in der ständigen Ausstellung zum WF angeschaut werden), sondern auch die gesamte Elektronik der diesbezüglichen Anlagentechnik.

Die Lochmaske in der Neidhardt’schen Farbbildröhre war zwar nicht neu – die gab es schon bei den amerikanischen RCA-Farbbildröhren, aber die hatten immer noch einen Rundkolben in Metallausführung. Die Farbbildröhre von Neidhardt war dagegen eine Rechteckbildröhre in Vollglas-Ausführung, wie die späteren Schwarz-Weiss-Bildröhren aus dem WF auch.

Gesamtansicht des Colorskops von der Seite

Als dann 1960/61 die jahrelange Entwicklung erfolgreich mit dem Entwicklungsstand K5 abgeschlossen war, sollte eigentlich der Weg zur Großserienproduktion frei gemacht werden. Grundlage dazu war eine Pilotserien-Fertigung von ca. 100 Stück in einer neuen Fertigungshalle gegenüber dem WF an der Ostendstrasse. Muster-Farbbildröhren wurden auch an alle möglichen Interessenten in der DDR gegeben (ZRF Dresden, VEB Fernsehgerätewerk Staßfurt, RFZ Berlin Adlershof). Keiner zeigte sonderliches Interesse, sich mit diesem zukunftsträchtigen Thema intensiv zu befassen, oder es wurde nur halbherzig damit gearbeitet, weil es keine staatliche Direktive dazu gab. Trotzdem wurde vom WF ein entsprechender Investitions-Antrag über ca. 70 Mio. dem übergeordneten Organ, der VVB BuV vorgelegt. Zur gleichen Zeit sollte aber auch das Halbleiterwerk in Frankfurt/O. aufgebaut werden. Wie sollte die VVB entscheiden? – Zu beiden Vorhaben gleichzeitig reichten die vorhandenen Mittel nicht aus.

Außerdem gab es Bedenken hinsichtlich des Absatzes der Farbbildröhren, wo doch noch nicht abzusehen war, wann in der DDR das Farbfernsehen eingeführt werden sollte. Es fehlte noch jegliche Grundlage – Studiotechnik, Geräteproduktion usw. Auch in den anderen RGW-Ländern war die Situation nicht viel anders. Ein Export in den Westen wäre schon an der Wirtschaftsblockade gescheitert, die der Westen anlässlich des Mauerbaus über die DDR verhängt hatte.

Somit hatten die Verantwortlichen entschieden, die vorhandenen Investitionsmittel für den Aufbau des Halbleiterwerks auszugeben und (zunächst) keine Serienproduktion von Farbbildröhren zu veranlassen. Das bedeutete aber nicht, dass nicht weiter an dem Thema im WF gearbeitet wurde – obwohl Neidhardt aus verständlichem Frust darüber dann das WF verlassen hatte.

Vorliegende F/E-Berichte zeigen, dass noch bis Mitte der 1960er Jahre weiter am Thema „Farbbildröhre“ entwickelt wurde. Immer mal wieder wurde auch seitens des Entwickler-Kollektivs ein Anlauf genommen, doch noch die Serienproduktion beginnen zu können.

Als dann aber seitens Partei und Staatsführung der DDR festgelegt wurde, dass 1969 zum Jahrestag der DDR das Farbfernsehen eingeführt werden sollte, stand wieder das Problem „Farbbildröhre“ auf der Tagesordnung. Nun gab es aber ein Angebot der UdSSR, die Bedarfsdeckung an Farbbildröhren für die DDR vornehmen zu können. Die Farbbildröhren-Produktion in der UdSSR basierte auf einem Abkommen mit Frankreich (de Gaulle hatte den NATO-Austritt Frankreichs betrieben und war somit der UdSSR „näher gekommen“), das SECAM-System für die UdSSR und den gesamten Ostblock übernehmen zu wollen.

Leider wurden dann auf hoher Regierungsebene vorschnell Vereinbarungen abgeschlossen, die in keiner Weise mit den technischen Bedingungen in der DDR (TGL-Normen) übereinstimmten. Somit wurden die Farbbildröhren nach GOST (Norm in der UdSSR) geliefert, von denen ca. 30 % für den Einsatz im „Color 20“ und den weiteren Farbfernsehempfängern aus Staßfurt ungeeignet waren. Tausende diese Ausschussröhren liegen heute noch in alten Kali-Schächten bei Staßfurt.

Diese Situation änderte sich erst, als nach der Honecker-Reise nach Japan u.a. auch eine Fertigungstechnologie für Schlitzmasken-Farbbildröhren von Toshiba gekauft werden konnte, mit der dann erfolgreich viele Jahre im WF Farbbildröhren nach dem modernen Schlitzmasken-Prinzip gefertigt wurden. Auch darüber gab es im Industriesalon Schöneweide im Rahmen der Vortragsserie „Fernsehtechnik aus Berlin – Teil 4“ den Vortrag „Das WF-Farbbildröhrenwerk – Neue Technologie“, gehalten am 29.11. 2011 von Helmut Meinke, letzter Geschäftsführer des an SAMSUNG gegangenen Werksteil des WF.

Literatur

  • Artikelserie von Ing. Peter Neidhard in der Hauszeitung des VEB Werk für Fernsehelektronik Berlin (im Archiv und der Mediathek des Industriesalon Schöneweide vorhanden)
  • Vortragsreihe „Fernsehtechnik aus Berlin“ im Industriesalon Schöneweide, Teil 3 – „DDR-Farbfernsehen – 1. Generation“ (Skript in der Mediathek des Industriesalon)
  • Zum Problem des Farbfernsehens: Teil 1: Grundsätzliche Überlegungen über die Auflösung farbiger Fernsehbilder, Teil 2: Über die Wirkung der Schärfenabnahme bei mit gleichem Frequenzband… Telegraphen-Fernsprech-Funk-und Fernsehtechnik, Heft 7, 264, 1938

© Copyright by Peter Salomon, Berlin – März 2022

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