Brigadebücher im Industriesalon – 5. (und letzter) Teil

Brigadebücher im Industriesalon – 5. (und letzter) Teil

Ende 1982 schrieb der Kollektivleiter von „Fototron“: „Das Brigadebuch – oder auch die Brigadechronik – unseres Kollektivs wird bereits seit mehr als 10 Jahren geführt? Wer interessiert sich eigentlich dafür, wie es bei uns vor 10 Jahren zuging? Kann man dies denn aus unserer ‚Chronik‘ entnehmen? Nimmt man die wirklich interessanten Aussagen zusammen, so wird damit kaum ein Brigadebuch gefüllt, trotz mehrmaliger lobender Erwähnung durch die Kulturkommission der Gewerkschaft.

Wenngleich wir bestrebt waren, das Brigadebuch für uns zu führen, wurde es doch immer ein Buch für andere. Wer führt zuhause eine Familienchronik? Ist die Bindung in der Familie enger als im Arbeitskollektiv u. liegt darin die negative Antwort? Oft werden Ausschnitte des Familienlebens festgehalten in Fotoalben, Diaserien […] Alle diese Momentaufnahmen sind für den internen Gebrauch gedacht und werden hin und wieder zur Auffrischung der Erinnerung geistig konsumiert. Niemand fiele es ein, dafür das Urteil außenstehender – etwa des Nachbarn – einzuholen.“[1]

Dieses Schreiben für den „Nachbarn“ muss auch bei einer heutigen Lektüre der Brigadebücher bedacht werden. Sie spiegeln also zumeist nur einige Facetten des Lebens in den Kollektiven/ Brigaden und vermitteln kein „wirkliches Bild vom Brigadeleben“, aber dennoch viel über das Leben im Kollektiv, in der Abteilung und außerhalb des Werks bei den gemeinsamen Aktivitäten, vor allem oft auch aus der persönlichen Perspektive derjenigen, die einen Beitrag zum Brigadebuch verfassten.

Insofern sind die Brigadebücher ein faszinierendes Medium, das uns näher an eine Vergangenheit heranträgt, die uns ansonsten immer ferner und irrealer erscheint.

Umso verwunderlicher ist es, dass zwar diverse Brigadebücher online zum Verkauf angeboten werden, auch Museen Brigadebücher gesammelt haben, aber bisher keine vollständig veröffentlicht wurden. Daher war es lohnendes und wertvolles Projekt, dass diese Zeugnisse dank der finanziellen Förderung durch die Berliner Senatsverwaltung für Kultur der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten.

Der Kollektivleiter von „Fototron“ schlug übrigens vor, das Brigadebuch nicht mehr in der bisherigen Form weiterzuführen. Sein Vorschlag steht auch in dem zitierten Scheiben auf der S.2. Ob er sich mit seiner Idee bei Kollektiv und BGL durchsetzen konnte oder ob es nur ein Zufall ist, dass es im Industriesalon kein Brigadebuch von „Fototron“ nach 1982 gibt, entzieht sich unserer Kenntnis.

Die Abbildung stammt aus dem Brigadebuch des Kollektivs ‚Graham Bell‘ für das Jahr 1975.[2]

[1] Schreiben des Kollektivleiters vom 26.11.1981, in: „Best off“ der Brigadebücher des Kollektivs Fototron, 1972-2982, S. 1 (https://berlin.museum-digital.de/musdb/objekt_cha.php?objektnum=114892)

[2] https://berlin.museum-digital.de/object/114853

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