Auftragslage in der FAO Mai-Juli 1945
Am 3. Juni 1945 hatte der Werkkommandant des FAO seine Wechselsprechanlage zum Werkkommandanten des KWO eingerichtet bekommen, am 13. Juni erfolgte die Bitte an die auf dem KWO-Gelände befindliche Telefonzentrale, die Wache an Tor 10, den Werkschutzposten am Aufgang 6 des FAO, den Raum des Werkschutzes, Zimmer 223 im 2. Stock und die Küche im 1. Stock wieder an die Telefonzentrale anzuschließen. Des Weiteren sollten 2 Apparatenummern auf andere Zimmer umgelegt werden.[1] Schon am 31.Mai war auf Anweisung des sowj. Werkkommandanten die Uhr im Werk wieder in Gang gesetzt worden.[2] Die Arbeit konnte losgehen, Aufträge gab es genug.
Am 17. Mai hatte die AEG-Fabrikenleitung an alle AEG-Betriebe im Berliner Raum ein Rundschreiben geschickt, in dem die Fabrikleiter über die aktuelle Situation informiert wurden. Da das AEG-Hauptverwaltung am Karl-Friedrich-Ufer stark zerstört worden war, war sie zum Fehrbelliner Platz Nr. 4 in Berlin-Wilmersdorf umgezogen. Die Leitung hatte ein Dr. Wendel übernommen, der auch bereits Kontakt zum russ. Stadtkommandanten Generaloberst Bersarin aufgenommen hatte und sich bemühte zu erreichen, dass AEG nicht zerschlagen, sondern als Gesamtfirma erhalten bliebe. Wichtigstes Ziel der Aufbauarbeiten in den Werken sei es, die Maschinenbestand weitgehend zu erhalten. Sollten Maschinen demontiert werden, sollte die Fabrikenleitung in Wilmersdorf umgehend informiert werden.
Aus den Erfahrungen in anderen bereits früher besetzten Orten wurde den Unternehmen empfohlen, so schnell wie möglich den Betrieb wieder aufzunehmen, da das einen gewissen Schutz vor Demontage böte. (Da war die AEG vielleicht doch zu optimistisch gewesen.) „Soweit unsere Informationen lauten ist der Abzug von Maschinen am besten dadurch zu begegnen, dass die Fabrik schnellstens produktive Arbeit leistet“. Das folgende ist dick unterstrichen: „Wir empfehlen daher, möglichst die Fertigung auf Ihrem Friedensarbeitsgebiet aufzunehmen, oder wenn dies aber durch Fehlen von Strom, Material usw. nicht möglich ist, andere Bedarfsartikel des täglichen Lebens von Hand zu reparieren oder herzustellen, z.B. Installationsmaterial, elektrische Haushaltsartikel. Motoren, Taschendynamos, notfalls auch Eimer, Schippen, Waschnäpfe, Trinkbecker usw.“[3]
Bereits am nächsten Tag wurde ein Mitarbeiter des FAO, Herr Keller, beauftragt, bei den Post- und Bahnbehörden vorzusprechen, „um dort die Hilfe der FAO bei den kommenden Instandsetzungsarbeiten an Fernmeldekabeln, Muffen, Pupinspulen, Verstärkern und Trägerfrequenzgeräten anzubieten.“[4] Bei den Zentralämtern der Post und Bahn traf Herr Keller zwar auf bisher dort tätige hohe Beamte, die aber noch keine Verbindung zu ihren Ministerien hatten aufnehmen können und deshalb zunächst keine konkreten Aufträge vergeben konnten. Allerdings gingen beide Ämter davon aus, dass die Instandsetzungsarbeiten bald losgehen würden. Der zuständige Ansprechpartner bei der Postzentrale empfahl Herrn Keller, dass die FAO ein Angebot an die zuständige Abt. Post- und Fernmeldewesen des Berliner Magistrats schicken sollten, die neuerdings für die Postbelange und die Fernsprechämter zuständig war, und darstellen sollte, welches Material und wie viele Arbeitskräfte das FAO für Montageinsätze zur Verfügung stellen könnte.
Parallel zu Keller war auch der Oberingenieur Rudolf Dehmel, der die Montageabteilung des FAO leitete, auf Anweisung Zimmermanns beim Reichsbahn-Zentralamt, um die Dienste des FAO anzubieten. Dehmel sollte sich am 22. Mai wieder einfinden, da gerade der zuständige Oberrat nicht anwesend sei. Einen Bericht über das Treffen am 22. Mai gibt es nicht, aber am 23. Mai schrieb die Reichsbahndirektion Berlin ans KWO – nicht ans FAO – dass für die Rote Armee die Fernmeldeverbindungen auf den Bahnhöfen und den Strecken in und um Berlin wiederhergestellt werden sollten. Dafür brauche die Bahn zusätzliche Monteure und Kleinbaumaterial, Werkzeug und Messinstrumente.[5]
Zum 28. Mai 1945 wurde dann eine erste Arbeitsbesprechung zwischen dem FAO, vertreten von dem Leiter der Montageabteilung, Rudolf Dehmel, und dem FAO-Bauleiter Seeger und dem zuständigen Mitarbeiter der Bahn in der Bahnmeisterei Neukölln angesetzt, wie das Bahnstück um Ostkreuz herum wieder in Ordnung gebracht werden könnte.[6]
Eigentlich sollte das FAO-Montage-Team seine Arbeit schon am 25. Mai aufnehmen, aber es gab da noch einige Komplikation. Z.B. befanden sich Werkzeug und Messgeräte der Montageabteilung in verschiedenen Lagern im Berliner Stadtgebiet. Eines befand sich in der Nähe des Bhf. Friedrichstraße in einem der Stadtbögen, ein weiteres im Humboldtheim und eins in Friedrichshagen. Alle diese Lager befanden sich in der Hand sowj. Militärs und es mussten überhaupt erst einmal die Genehmigungen besorgt werden, diese Lager zu betreten, um nachzusehen, was überhaupt noch da war.[7] Am 1. Juni 1945 konnte dann mit den Bauarbeiten am Bahnabschnitt Treptow-Tempelhof begonnen werden, nachdem Messgeräte und Werkezuge aus dem Lager in der Friedrichstraße entnommen werden durfte. Zwei Ingenieure und 9 Monteure waren dort beschäftigt, es hätten zwar noch mehr Monteure zur Verfügung gestanden, aber für mehr reichten die Messgeräte und Werkzeuge nicht.[8] Am 18. Juni waren immerhin schon 7 Angestellte, 18 Monteure und 1 Helfer im Einsatz, 6 Monteure davon bei der BEWAG.[9]
6 Monteure für die BEWAG, da diese auch Anfang Juni dringend Unterstützung beantragte, um die Fernsprechverbindung zwischen Berlin und dem Kraftwerk Zschornewitz jenseits der Elbe wiederherzustellen. Eine direkte Zusage konnte das FAO erst einmal nicht geben, da Anfang Juni noch unklar war, ob genügend Messgeräte und Werkzeuge vorhanden waren[10], aber am 13. Und 18. Juni fanden an einigen Stellen Messungen und kleinere Reparaturen statt. Allerdings stornierte dann die BEWAG am 20. Juni ihren Auftrag, da nicht sichergestellt war, ob sie die Fernsprechverbindung, die wiederhergestellt werden sollte, dann auch für ihre Zwecke nutzen durfte.[11]
Die Montageabteilung der FAO war mit dem Arbeiten für die Reichsbahn so ausgelastet, dass sie Ende Juli 1945 einen Auftrag der Deutschen Fernkabelgesellschaft ablehnen musste, ihr 2 Monteurtrupps für die Instandsetzung von Fernkabelstrecken zu überlassen, und der DFKG nur empfehlen konnte, „uns ein Schreiben zu übersenden, aus dem die Dringlichkeit Ihres Auftrages klar hervorgeht, gegebenenfalls mit der Bestätigung der Sie beauftragenden Stelle. Dieses Schreiben würden wir der Reichsbahn vorlegen, damit diese prüfen kann, ob sie sich daraufhin veranlasst sieht, Ihnen gegenüber für eine entsprechende Zeitspanne in Bezug auf den Einsatz der Monteurtrupps zurückzutreten.“[12]
Da Bahn, Post, Elektrizitätswerke und Schiffahrtswesen alle händeringend Monteure für die Reparatur der Fernkabel suchten, um die Kommunikation wieder in Gang zu bekommen, also die Nachfrage wesentlich höher als das Angebot war, beschlossen die im Kabelkartell zusammengeschlossenen Unternehmen am 18. Juni, darunter FAO und Siemens, höhere Stundensätze für Monteure zu verlangen. Man einigte sich auf folgende Sätze: Monteur pro Stunde 2,40 Helfer 1,90, Obermonteur (bauleitender Monteur) 2,90 Mark, pro Stunde. Für die leitenden Ingenieure wurden ein Tagessatz von 36 Mark bzw. 48 Mark bei Übernachtung festgelegt. [13] Wenige Tage später, am 23. Juni, setzten sich Herr Keller vom FAO, Herr Wagner von S&H (Siemens & Halske) und Herr Rommeler vom VDSF (Vereinigung Deutscher Starkstrom-Fabrikanten) mit drei Beamte der Reichsbahndirektion zusammen, um die vom Kabelkartell festgelegte Stundensätze bei der Reichsbahn durchzusetze. Zähneknirschend und unter Protest stimmte die Bahn den neuen Preisen zu.[14] Allerdings hielt sich die Bahn dann erst einmal nicht an diese Absprachen, da der Vertreter des VDSF versäumt hatte, sich diese Vereinbarung schriftlich bestätigen zu lassen. [15]
Weitere Messgeräte, die eine Aufstockung des Montagepersonals ermöglicht hätten, lagerten auch auf dem Gelände des KWO, dessen Werkskommandant Oberstleutnant Kruglyi aber nicht gestattete, irgendwelche Materialien, Kabel oder Werkzeuge aus dem Gelände des KWO zu entnehmen. Am 22. Juni, also fast 4 Wochen nach der Auftragserteilung, in der betont worden war, dass es die Rote Armee war, die die Instandsetzung wünschte, konnte Direktor Zimmermann der Reichsbahn nur mitteilen, sie möge sich an einen Oberst Tolstopalow in Neuenhagen, Lindenstr. 42 wenden und dem erklären, wozu sie die Materialien brauche, und dieser würde dann – eventuell – die Genehmigung zur Entnahme der Materialien im KWO genehmigen.[16] Die Information hatte Zimmermann vom seinem FAO-Werkskommandanten erhalten, der das offensichtlich nicht direkt mit seinem benachbarten Kollegen, dem Werkskommandanten des KWO, der auf der anderen Seite der Wilhelminenhofstr. residierte, klären konnte. Dies zeigt die Unsicherheit der sowjetischen Offiziere, die in den Werken eingesetzt worden waren, und welche Angst sie hatten, selbständig Entscheidungen zu treffen. Es zeigt aber auch, dass es keine klar organisierte Befehlshierarchie in dem sowj. Sektor gab. Obwohl der Stadtkommandant Gen. Bersarin am 30. Mai 1945 den Befehl Nr.8 erlassen hatte,[17] dass vorrangig – auch im Interesse der Roten Armee – die Infrastruktur Berlins wiederhergestellt werden sollte, behinderte der KWO-Kommandant mit seiner Weigerung, benötigte Messgeräte und Material herauszugeben, die Durchführung des Befehls Nr.8. Für ihn galt vermutlich noch die Anweisung des sowj. Kommandanten des Bezirks Köpenick, SSsakanuk, aus den ersten Wochen nach der Besatzung, dass kein russische Soldat Maschinen, Materialien, Utensilien oder anderes aus dem Werk mitnehmen dürfte.[18]
Also an Aufträgen mangelte es der FAO-Montageabteilung in den ersten Monaten nach Kriegsende jedenfalls nicht. In der Fabrikation bot sich ein anderes Bild.
(Fortsetzung folgt)
Die Übersetzung der Bildunterschrift lautet: „Geräte für Fernverbindungen ME. die vom Werk FAO – AEG hergestellt wurden, werden für Laborexperimente genutzt.“
[1] Vergl. Schreiben von Zimmermann an Ruff, KWO-Telefonzentrale, vom 13.6.1945, in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[2] Vergl. Schreiben von Zimmermann an Ruff, KWO-Telefonzentrale, vom 31.5.1945, in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[3] Rundschreiben der AEG an diverse Unternehmen, darunter TRO, KWO, RFO, FAO, vom 17.5.1945, in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[4] Tätigkeitsbericht in der Zeit vom 18.5. bis 31,5.1945, gez. Keller, vom 31.5.1945, in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[5] Vergl. Schreiben der Reichsbahndirektion Berlin an KWO vom 23.5.1945, in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[6] Vergl. Aktenvermerk, unterzeichnet von Dehmel, vom 25.5.1945. in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[7] Vergl. Aktenvermerk: Betreff. Montagen bzw. Reparaturen von Kabelanlagen bei der RBD, unterzeichnet von Dehmel, vom 23.5.1949, in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[8] Aktenvermerk: Betr.: Stand der Montagearbeiten bei der RBD Berlin, unterzeichnet von Dehmel, vom 1.6.1945, in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[9] Vergl. Personalbestand FAO/Mta [Montage] vom 18.6.1945, in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[10] Vergl. Aktenvermerk: Betr. HGÜ-Elbe-Berlin, Elektrowerke, unterzeichnet von Dehmel, vom 2.6.1945, in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[11] Vergl. Mitteilung von Zimmermann an FKU vom 26.6.1945, in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[12] Schreiben von Zimmermann an die DFKG vom 26.7.1945, in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[13] Vergl. Aktenvermerk: Betr.: Besprechung des Kabelkartells am 18.6.1945 in der DFKG, unterzeichnet von Keller, vom 20.6.1945, in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[14] Vergl. Aktenvermerk: Betr. Besprechung bei der Bahn am 23.6.1945, unterzeichnet von Keller, vom 26.6.1945, in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[15] Vergl. Aktenvermerk: Betr. Besprechung bei der Bahn am 16.7.1945, unterzeichnet von Keller, vom 17.7.1945, in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[16] Vergl. Schreiben von Zimmermann an die Reichsbahndirektion vom 22.6.1945, in: LAB, Rep. C404, Nr.3.
[17] Vergl. Artikel „Dieser Mann verhalf Berlin nach Kriegsende zum Neustart“, Tagesspiegel vom 16.6.2020 (https://www.tagesspiegel.de/berlin/vor-75-jahren-starb-nikolaj-bersarin-dieser-mann-verhalf-berlin-nach-kriegsende-zum-neustart/25918138.html)
[18] Vergl. Aktenvermerk 1/1945 von Zimmermann vom 12.5.1945, in: LAB, Rep. C404, Nr.3. Auch wenn sich dieser Aktenvermerk auf die FAO bezog, ist davon auszugehen, dass ein gleichlautender Befehl auch dem KWO gegeben wurde.