Für wen waren die Wochenkrippen und Kinderwochenheime?
Gerade die Kinderwochenheime und Wochenkrippen, die es von 1950 bis zum Ende der DDR gab, wirken auf uns heute als Schreckensinstitutionen. Man fragt sich automatisch, welche Eltern, vor allem welche Mütter, ihre Kinder die ganze Woche „entsorgt“ hatten, damit sie arbeiten oder studieren gehen konnten. Man sollte sich aber vor vorschnellen Verurteilungen hüten und auch dabei bedenken, wie es zur gleichen Zeit in der BRD mit der Kinderbetreuung aussah.
In der DDR brauchte der Staat die Arbeitskraft der Frauen und er brauchte auch Nachwuchs, deshalb sollten Kinderbetreuungseinrichtungen es den Eltern, und wieder besonders den Müttern, ermöglichen, Arbeit und Familie zu vereinbaren. In der BRD hingegen war man seit dem Beginn der 1950er Jahre darauf erpicht, die Frauen zugunsten der Männer aus dem Arbeitsleben zu verbannen und sie zurück in die Rolle als Hausfrau, die Mann und Kinder umhegte und pflegte, zu drängen. Wer als finanziellen Gründen arbeiten gehen musste und sein Kind in eine Krippe gab, weil er niemanden anders für die Betreuung fand, war eine Rabenmutter. In den wohlhabenderen Kreisen war es ein Statussymbol, dass die Frau nicht arbeiten musste. Das änderte sich erst allmählich in den 1970er und 1980er Jahren.
Auch die Stellung lediger Mütter war in der DDR wesentlich besser als in der BRD. In der BRD wurden ledige Mütter gesellschaftlich stigmatisiert und bis 1998 noch automatisch ein Amtsvormund für das Kind einer ledigen Mutter, egal wie alt und wie gebildet, festgesetzt.
In dem „Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau“ vom 27. September. 1950 legte die DDR fest, dass ledige Mütter die gleichen Rechte hätten wie eine verheiratete Mutter. Außerdem wurde verfügt, dass jede Frau ein Recht auf Ausbildung und Arbeit habe. In der BRD hingegen durfte bis 1958 eine Ehefrau nur mit Zustimmung ihres Ehemanns den Führerschein erwerben! Bis 1977 konnte der Ehemann das Arbeitsverhältnis seiner Frau lösen, falls er befand, dass sie wegen ihrer auswärtigen Beschäftigung Haushalt und Kinder vernachlässigte!
DDR-spezifisch und nicht sehr fortschrittlich war, dass viele Liebespärchen in DDR sehr jung heirateten, um überhaupt eine Chance zu haben, eine gemeinsame Wohnung zu bekommen. Zum einen waren sie dann auch zumeist noch sehr jung beim ersten Kind und zum anderen war die Scheidungsrate in der DDR recht hoch.[1] Auf der positiven Seite ist wieder zu verbuchen, dass geschiedene Frauen in der DDR-Gesellschaft nicht stigmatisiert wurden im Gegensatz zur BRD, in der eine geschiedene Frau, nicht etwa ihr geschiedener Mann, bis in die 1970er Jahre hinein in der BRD schief angesehen wurde.
Die Wochenkrippen und Wochenheime waren vor allem für die Kinder von Alleinerziehenden und Studierenden, darunter sehr viele junge Mütter, und Eltern in Schichtarbeit vorbehalten. Und es waren vor allem diejenigen Mütter, die ihr Kind in eine Wochenkrippe oder ein Wochenheim gaben, die es sich finanziell nicht leisten konnten, zu Hause zu bleiben.
Für die Zuteilung eines der Kindergarten- und Krippenplätze, sowohl in den Wochenheimen und Tagesplätzen war bis 1973 die Einweisungskommission zuständig. Sie bestand aus einem Mitglied der BGL, 3 Frauen aus dem Zentralen Frauenausschuss und einer Kollegin aus der Abteilung VA 1 (Abt. Kindereinrichtungen im Direktorat für Sozialökonomie).[2] Auffallend ist, dass nur Frauen in dieser Kommission saßen. Ob sich die Männer nicht dafür interessierten oder sich nicht zutrauten, Entscheidungen in diesem Bereich zu treffen, verrät der WF-Sender leider nicht.
Zum Herbst 1973 erließ die Regierung eine neue „Einweisungsverordnung“. Für die WF-Kinder hatte das zur Folge, dass nicht mehr das WF, sondern eine zentrale Einweisungsstelle beim Rat des Stadtbezirks Köpenicks die Plätze verteilte, „selbstverständlich in enger Zusammenarbeit mit unserem Betrieb“,[3] wie der WF-Sender betonte.
Gerade in den 1950er und auch noch in den 1960er Jahren versuchte der Betrieb auch, den Müttern einzureden, dass die Kinder doch viel besser in der Wochenkrippe untergebracht sein als in einer Tageskrippe. Geregelte Mahlzeiten, geregelte Schlafzeiten, keine abendliche Hektik in der engen Wohnung zu Hause etc. Man denke nur, wie noch in 1970 im WF-Sender für die Station für leicht erkrankte Kinder geworben wurde. Gerade junge, noch unerfahrene Mütter dürften das vielleicht auch gern geglaubt haben. Viele von denen, die in den 1940er Jahren ihre Kindheit verbracht hatten, hatten in der Kriegs- und Nachkriegszeit gar keine Chance gehabt, selbst ein intaktes Familienleben kennenzulernen.
Ab 1965 war in der DDR die Antibaby-Pille erlaubt und ab 1970 Abtreibung in den ersten drei Monaten. Die Kinderzahl sank und damit auch der Andrang auf Betreuungsplätze. Außerdem war jetzt eine neue Generation herangewachsen, die nicht das Chaos der Kriegs- und Nachkriegsjahre und die Armut und Versorgungsprobleme in den 1950er Jahre bewusst miterlebt hatten. Die stetig steigende Nachfrage nach Tagesplätzen und das nachlassende Interesse an Wochenheimplätzen, wie es z.B. die Einrichtungen des WF erlebten, zeigte, dass die Eltern ein wachsendes Familienbewusstsein entwickelten. Der Rückgang der Nachfrage nach Wochenkrippen- und Wochenheimplätze und die Forderung nach mehr Tagesplätzen, die seit den 1960er Jahren in den WF-Kinderbetreuungseinrichtungen zu beobachten war, dürfte u.a. darauf zurückzuführen sein, dass sich die wirtschaftliche Situation vieler WF-ler stabilisiert hatte. Hinzu kamen in den 1970er Jahre Maßnahmen der DDR wie 20 Wochen bezahlter Mutterschutz beim ersten Kind und bezahltes Babyjahr ab dem zweiten Kind und andere finanzielle Unterstützungen für Eltern, so dass es für viele Mütter nicht mehr notwendig war, schnell nach der Geburt wieder ins Erwerbsleben zurückzukehren.
Der Textausschnitt stammt aus dem BKV (Betriebskollektivvertrag) des WF 1973.
[1] Zu den Unterschieden der Rechte der Frau und der Berufstätigkeit von Frauen in DDR und BRD vergl. z. B.: Angelika Domscheit: Familienpolitik in Ost- und Westdeutschland und ihre langfristigen Auswirkungen (November 2016), https://www.boell.de/de/2016/11/09/familienpolitik-ost-und-westdeutschland-und-ihre-langfristigen-auswirkungen (Abruf: 10.12.2023)
[2] Vergl. BKV 1973, in: WF-Sender Nr. 4, 5. Februar 1973, S.10.
[3] WF-Sender Nr. 37, 3. Oktober-Ausgabe 1975, S. 6.