Die Krankenstation für leicht erkrankte Kinder
Auch wenn man einen Wochenheim- oder Tagesplatz für sein Kind ergattert hatte, war es ein Problem für die Eltern (zumeist die Mütter), wenn ein Kind so stark erkrankte, dass es nicht in die Krippe oder die Kita gehen konnte. Wenn die Mutter (selten der Vater) zu Hause bleiben musste, um das erkrankte Kind zu betreuen, musste beim Abteilungsleiter unbezahlter Urlaub beantragt werden. Wenn das persönlich nicht möglich war, da man ja selten vorhersehen konnte, dass das Kind krank wird, musste umgehend per Post ein von einem Kinderarzt ausgestellter Attest, das Beginn und voraussichtliche Dauer der Erkrankung enthielt, „mit der Bitte um Freistellung eingesandt werden.“[1] Lediglich alleinstehende Mütter erhielten bis zu sechs Wochen pro Jahr eine finanzielle Unterstützung für die Zeit, die sie wegen des kranken Sprösslings nicht arbeiten konnten,[2] die anderen mussten ihren Urlaub dafür aufbrauchen oder Lohnabzug hinnehmen.
Auf der Zweien Arbeiterinnenkonferenz im WF im Juni 1959 wurde geklagt: „Wir haben immer noch keine Lösung für leichterkrankte Kinder gefunden, deren Mütter viele Tage in der Produktion ausfallen.“[3] Die Formulierung „immer noch“ weist darauf hin, dass bereits seit einiger Zeit für dieses Problem eine Lösung von der HF-Leitung und der BGL eingefordert wurde. Genaugenommen lief diese Diskussion bereits seit 1953, nicht nur im HF, sondern auch in anderen Betrieben und öffentlichen Institutionen.[4]. Und es waren nicht nur die Frauen im WF, die nach einer Lösung verlangten, sondern auch die in den anderen Köpenicker Großbetrieben wie z.B. KWO und TRO.
Trotzdem dauerte es noch bis Herbst 1965, bis eine Lösung angeboten wurde. Der Rat des Stadtbezirks Köpenick schloss mit den Großbetrieben eine Vereinbarung und am 7. Oktober 1965 wurde in der ehemaligen Chefarztvilla des Köpenicker Krankenhauses in der Aschenbachstraße eine Station für leicht erkrankte, pflegebedürftige Kinder von Müttern aus den Köpenicker Großbetrieben eröffnet. Die 25 Plätze waren für Kinder zwischen 1 und 7 Jahren vorgesehen, die an Angina, Mittelohrentzündung, Bronchitis und anderen Atemwegserkranken litten, keine ansteckende Krankheit hatte, aber pflegebedürftig waren. Betreut wurde die Station von einer Kinderärztin. Jeder Kinderarzt bzw. die Krippenärztin (im Falle eines WF-Kindes) konnte die Einweisung veranlassen. Bittere Pille dabei war, dass die Kinder während ihres Aufenthaltes auf dieser Station nicht besucht werden durften. [5] Bevorzugt bekamen die Kinder von Alleinerziehenden Platz in dieser Station. Wenn nicht alle Betten belegt waren, wurden auch Kinder von berufstätigen Ehepaaren aufgenommen. Problem war auch, dass nicht jeder Kinderarzt meinte, nur weil die Mutter arbeiten gehen wolle, sei ihr Kind ein Fall für diese Station und dann die Einweisung verweigerte. [6]
Ob es die fehlende Bereitschaft von Kinderärzten war, Kinder einzuweisen, oder ob generell der Gedanke, ihre Kinder dort nicht besuchen zu dürfen, die Eltern davon abhielt, eine Einweisung zu verlangen, wird im WF-Sender nicht berichtet, aber offensichtlich wurde die Möglichkeit, sein pflegebedürftiges Kind in der Station für leicht erkrankte Kinder unterzubringen, relativ wenig genutzt. Im Durchschnitt war die Station nur zu 60 % belegt. „Leider sind noch viele Eltern der Meinung, nur sie selbst können ihr Kind pflegen und haben wenig Vertrauen zu einer solchen Einrichtung. Aber wie richtig es ist, wenn man sich selbst überwindet. Da kann man […] nichts falsch machen. Eine sorgfältige Tageseinteilung, regelmäßige Mahlzeiten, ständige Anwesenheit geschulter Pflegekräfte, regelmäßige ärztliche Kontrolle und entsprechende Verordnungen sind gesichert. […] Bitte, liebe Eltern, nutzen Sie diese Möglichkeiten. Helfen Sie Ihrem Kind, im Krankheitsfalle schneller zu genesen. Sie helfen damit gleichzeitig dem Betrieb, die Ausfallstunden zu senken.“[7] Wie lange diese Station beim Köpenicker Krankenhaus bestand, ist leider dem WF-Sender nicht zu entnehmen, vermutlich bis zur Wende.
Der Zeitungsausschnitt stammt aus dem WF-Sender Nr. 35, 1970, S.6.
[1] WF-Sender Nr. 24, 30. Juni 1961, S.2.
[2] Vergl. WF-Sender Nr. 40, 20. November 1970, S.6.
[3] WF-Sender Nr. 23, 19. Juni 1959, S. 4.
[4] Vergl. z.B. Berliner Zeitung vom 3. August 1954, S.6.
[5] Vergl. WF-Sender Nr. 47, 9. Dezember 1965, S.2, Nr. 12, 28. März 1966, S.7 und Nr. 18, 6. Mai 1967, S.2.
[6] Vergl. WF-Sender Nr. 40, 20. November 1970, S.6.
[7] WF-Sender Nr. 35, 4. Septemberausgabe 1970, S.6.