Anni Gent, die erste Aktivistin im HF – Frauen im WF, Folge 9

Anni Gent, die erste Aktivistin im HF – Frauen im WF, Folge 9

Die erste als Aktivistin ausgezeichnete Frau im Werk für Fernsehelektronik, damals noch OSW, war 1949 Anna Gent, ab 1963 Anna Ortmann.

Lt. einer Reportage in der ‚Berliner Zeitung‘ zum 8. März 1960 [1] wurde Anna (zumeinst Anni genannt) Gent im Mai 1920 in Woltersdorf bei Berlin geboren und wuchs sie in den recht einfachen Verhältnissen einer Arbeiterfamilie auf. Die Heirat 1939 war wohl nicht unbedingt eine reine Liebesheirat, denn 1950 soll ihr Sohn schon 12 Jahre alt gewesen sein, wie ‚Neues Deutschland‘ in einer Reportage über die Aktivistin vom 9. April 1950[2] aussagt. 1943 verschlug es Anni Gent nach Köpenick, wo sie in der Nachkriegszeit zunächst als Wäscherin arbeitete, bevor sie im April 1948 als ungelernte Arbeiterin im OSW anfing, als Montiererin in der Röhren-Sockelei zu arbeiten.

Zwei Verbesserungsvorschläge und die Bereitschaft, die Norm überzuerfüllen, führten dazu, dass ihr am 8. März 1949 die Aktivistennadel angesteckt wurde. Insgesamt erhielt sie bis April 1950 folgende Prämien für ihr engagiertes Verhalten: “Zweimal 50 und einmal 100 DM. Ferner Wäschestoff, Mantelstoff und sogar ein Fahrrad“[3] Das Fahrrad hatte sie zur Ernennung als Aktivistin bekommen.

Über die Reaktion der Kolleginnen schreibt Anni Gent im HF-Sender 1952: „Ich habe als erste meine Norm in unserem Werk freiwillig erhöht und wurde darauf als erste 1949 im HF als Aktivistin ausgezeichnet. Es war damals gar nicht so einfach, Aktivistin zu sein, denn es wurde es von wenigen verstanden. Kollegen, die heute selber den richtigen Weg erkannt haben, die heute fleißig am Wiederaufbau mithelfen und selbst als Aktivisten ausgezeichnet sind, machten damals oft noch ihre Glossen über die Aktivisten und sahen diese mit scheelen Augen an, die ihre Norm freiwillig erhöhten.[4] Im März 1950 verdiente Anni Gent als Aktivistin 316 Mark.[5]

Anfang 1950 wurde Anni Gent zusammen mit 13 weiteren verdienten Kollegen des Werks für Fernmeldewesen zur Aktivistenkonferenz der SAG-Betriebe für Elektrobetriebe Bereich Kabel, nach Hermsdorf/ Thüringen geschickt worden. Ob es als Belohnung gedacht war oder ob das HF zeigen wollte, dass es auch in diesem Werk MINT-interessierte junge Frauen gab, ist nicht bekannt.  Nach dem Motto „Ladies first“ war sie die erste Vortragende der Delegation des HF und berichtete unter dem Titel „Kleine Ursachen, große Wirkungen“ über ihre Verbesserungsvorschläge, die zur Produktionssteigerung beitrugen. „Beim Auflöten von Anodenkappen bei der Senderöhre TS 41 konnte sie durch den Vorschlag, den Anodendraht vorher zu verzinnen, den Ausschuss und die dauernde Nacharbeit ersparen sowie den Lötvorgang viel schneller erledigen. Bei einer Verstärkerröhre, an der 4 Kontaktstifte zu gleicher Zeit gelötet werden mussten, war der Arbeitsvorgang langwierig. Ihr Vorschlag, die Stifte vorher zu verkupfern, der auch durchgeführt wurde, brachte den Erfolg, dass sie in der Lage war, die Norm um 100 % zu erhöhen.“[6]

Während die Betriebszeitung HF-Sender 1950 nur über Anni Gent im Kontext mit der Aktivistentagung in Hermsdorf berichtete, widmete ihr „Neues Deutschland“ zu Ostern 1950 die Reportage „Aktivistin einmal nicht am Arbeitsplatz / Hausfrau und Mutter mit Plänen“, nachdem Anni Gent im Januar 1950 zum dritten Mal freiwillig ihre Arbeitsnorm erhöht hatte.[7] War sie doch offensichtlich ein Paradebeispiel, was eine einfache, aus Arbeiterkreisen stammende Frau, die früher wenig Chancen gehabt hätte, der Werkleitung positiv aufzufallen, in der DDR leisten konnte.

Auch 1951 interessiert sich der HF-Sender nicht für Anni Gent, erst im Jahr drauf wird sie mehrmals erwähnt, denn sie scheint im Röhrenaufbau das Vertrauen vieler Frauen genossen zu haben. Sie wurde in die AGL (Abteilungsgewerkschaftsleitung) des Bereichs Röhrenaufbau und in den neugegründeten – 19 Frauen umfassenden – Frauenausschuss gewählt und innerhalb des Frauenausschusses in das 5-köpfige Leitungsteam.[8]

In der Betriebszeitung werden auch zwei Artikel von Gent abgedruckt, die sie – obwohl parteilos – doch als Unterstützerin der herrschenden Politik zeigen. Zum einen wird von ihr eine kurze Stellungnahme abgedruckt, in der sie die Einrichtung eines Schießstandes für die GST auf dem Werksgelände befürwortet.[9] Zum anderen appelliert sie zum Tag des Aktivisten am 13. Oktober 1952 an die anderen Aktivisten: Wenn am diesjährigen Aktivistentag wieder neue Aktivisten ausgezeichnet und geehrt werden, Kollegen, die durch- ihren Arbeitseinsatz zur Erfüllung des Fünfjahrplanes entscheidend beigetragen haben, so will ich ihnen zurufen: Ruht euch nicht auf euren Lorbeeren aus, lasst nicht nach in euren Leistungen! Spornt durch eure Leistungen auch die Kollegen an, die noch nicht ausgezeichnet wurden, solange, bis auch die letzte Kollegin und der letzte Kollege in unserem volkseigenen Werk HF ein Aktivist ist.“[10]
Offenkundig war sie aber als ehrenamtliche Gewerkschaftlerin nicht ganz zufrieden mit der Betriebsgewerkschaftsleitung, die ihrer Meinung (und der vieler anderer) nach nicht den ihr in der Aktivistenbewegung und im sozialistischen Wettbewerb zugedachten Aufgaben nachkam. „„Den ehrenamtlichen Gewerkschaftsfunktionären fehlt die anleitende Unterstützung. Die Produktion muss laufen, da müssen die Gewerkschafter eine bedeutende Rolle in der breiten Entfaltung des Wettbewerbes spielen.“ zitiert sie der HF-Sender in seiner Ausgabe vom 31. Oktober 1952, S. 4.[11]
1952 und 1953 wurde sie erneut als Aktivistin ausgezeichnet.[12]
Danach wurde es still um Anni Gent. 1954 wurde sie nicht wieder in den Frauenausschuss gewählt[13] und vermutlich auch nicht in die neue AGL.

(Fortsetzug folgt)

Fotonachweis: Bundesarchiv, Bild 183-70631-0001 / Zühlsdorf, Erich / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en>, via Wikimedia Commons

Quellennachweise:

[1] Berliner Zeitung Nr. 63, 8. März 1960, S. 6

[2] Neues Deutschland Nr. 84, 9. April 1950, S. 8

[3] Neues Deutschland Nr. 84, 9. April 1950, S. 8

[4] HF-Sender 26/52, S. 2

[5] Neues Deutschland Nr. 84, 9. April 1950, S. 8
[6] HF-Sender Nr.3, Februar 1950, S.3

[7] Neues Deutschland Nr. 84, 9. April 1950, S. 8

[8] Vgl. HF-Sender Nr.4, 8. März 1952, S. 2  und HF-Sender Nr. 30, 7.11.1952, S. 3

[9] Vgl. HF-Sender Nr. 19, 19.8.1952, S. 3

[10] HF-Sender Nr.26, 10.10.1952, S. 2

[11] HF-Sender Nr. 29, 31. 10.1952, S. 4

[12] WF-Sender 34, 4. 9.1959, S. 2

[13] Vgl. Liste der neuen Mitglieder des Frauenausschusses in: HF-Sender Nr.3, 30.1.1954, S. 2

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