Geschichten vom Herrn A. (nicht K.), Folge 1 Die Geschichte eines Jacketts

Geschichten vom Herrn A. (nicht K.), Folge 1 Die Geschichte eines Jacketts

Schließlich konnte man nicht in einem Anzug herumlaufen, der die Schlussfolgerung zuließ, hier gehört ein Dicker rein. Also wurde der Anzug 1945 zum Schneider gebracht, der mit der Schere schnipp-schnapp, was zu viel an Stoff war, herausschnitt.
Nun schön, Nadel und Faden ließen wieder einen Anzug entstehen und man glaubte, stand man vor dem Spiegel, so sahst du aus bei der Schulentlassung. Jedoch die Zeit der Erfolge machte sich auch bei der Körperentfaltung bemerkbar. Zuerst konnte das Jackett nicht mehr zugeknöpft werden, und dann musste der obere Knopf der Hose offenbleiben.
Doch die Erfolge wurden größer, und die von mir entwickelte Knopfmethode ließ sich nicht länger beibehalten. Ich dachte hin, ich dachte her. Es war doch ein guter Stoff, und man kann ihn schließlich noch nicht in die Lumpen werfen. Ein Geistesblitz gab mir den Gedanken: du lässt dir das Jackett ändern und opferst die Hose; denn eine Hose ist schließlich billiger in Punkten wie im Preis. Gesagt, getan. Der Anzug wurde eingepackt und hingebracht zur Betriebsschneiderei. »Grüß Gott, Meister des edlen Handwerks, wie steht’s, lässt sich aus Hose und Jackett ein passendes Jackett machen?“ „Ja, warum nicht. Kommen Sie man in vierzehn Tagen wieder.“ Hoffnungsfroh schreite ich in den warmen Sommer hinein, weil ich weiß, zum Herbst steht der passende Anzug, d. h. das geänderte Jackett — plus neu hinzugekaufter Hose. Nach vierzehn Tagen stehe ich wieder beim Schneidermeister. Alles hat er in Einzelteile zerlegt. Nichts lässt mehr erkennen, dass es sich hier um meinen Anzug gehandelt haben musste. „Wie sieht es denn mit Steifleinen aus?“ fragt er mich. Also ganz ehrlich gesagt, daran hatte ich noch gar nicht gedacht! Aber man darf – in Anbetracht des zerlegten Anzuges – nunmehr keinen Widerspruch aufkommen lassen. Es beginnt also eine Jagd nach Steifleinen. Der Konsum, die HO, der Einzelhandel wurden durchsucht, und Fortuna lächelte nach vierzehn Tagen. “Hier, Meister, ist das Steifleinen, wann darf ich zur Anprobe kommen?“ „In vierzehn Tagen.“ ,,Meister, hier bin ich“, so sagte ich nach vierzehn Tagen. Ich musste wohl ein zu dämliches Gesicht gemacht, haben, denn er sagte gleich: „Meinen Sie, ich habe bloß für Sie zu tun? Kommen Sie mal in vierzehn Tagen mit vorbei.“ Ich dachte an die Einzelteile, – sagte kein Wort, sondern kam nach vierzehn Tagen schüchtern wieder zu ihm. Diesmal klopfte ich bescheiden an, und siehe da, da hing das Jackett in seiner ersten Form. „Das ging nicht so, wie Sie es sich dachten, ich habe das etwas ändern müssen. Leider sind nunmehr die Bügelfalten der Hose im Kreuz, doch bei Ihrem Buckel fällt das gar nicht auf.“ Wie angewurzelt blieb ich stehen. ,,In vierzehn Tagen ist die zweite Anprobe.“ Es war nun Herbst. Nicht bloß in der Natur, sondern auch in Hinsicht auf mein Jackett. Dreizehn Tage später klingelte das Telefon: „Wenn. Sie Ihr Jackett haben wollen, dann bringen Sie man schnellstens Futterstoff, denn der alte reicht nicht.“ Vor Schreck ließ ich den Hörer fallen. Es begann der Weg aufs neue, Konsum, HO, Einzelhandel, vor und zurück. Wenn auch mit drohendem Finger, so lächelte Fortuna doch noch nach sechs Wochen. Nichts wie hinauf mit dem Futterstoff, zu ihm, dem hohen Meister. „Ja, da hatten Sie früher kommen müssen, jetzt habe ich gekündigt und gehe in acht Tagen.“ Ein neuer Schreck. Ich gab ihm eine Zigarette und fragte dann, ob es sich nicht doch noch machen ließe. Nach. acht Tagen wusste ich, ich hatte umsonst gefragt. Alle Teile kamen nunmehr zur Schneiderei des Stammwerkes. Bescheiden, wie ich nun war, fragte ich dann beim neuen Meister, wie weit die Möglichkeit bei ihm besteht. „Also vor Weihnachten auf keinen Fall.“ (Ruhig Luft’ holen, tief atmen!) Nach dem Fest ging ich erneut zu ihm. ,,Machen wir mal eine Anprobe — hm — hab’ ich mir doch gleich gedacht, ist zu eng.“ Ritsch, ratsch, und die Nähte waren aufgerissen. Mit Nadeln wurde neu abgesteckt. „Ende nächster Woche ist dann die zweite Anprobe.“ Heute war der Tag. Er lächelte freundlich, der Meister, und sagte: ,,In der Hand hatte ich es schon, aber gemacht habe ich noch nichts, kommen Sie man nächste Woche noch mal mit vorbei.“ Ich fragte dann schüchtern an, wann wohl mit der Fertigstellung des Jacketts zu rechnen sei. ,,Ach“, sagte er, ,wenn der Arbeitsfluss so weitergeht, in der zweiten Woche des Monats Februar.“ Nun bitte ich euch, Kollegen, stört den Arbeitsfluss nicht, sonst wird es Sommer mit meinem Jackett. ,,Mit des Geschickes Mächten ist kein ew’ger Bund zu flechten.“
Gerhard Achtsnicht
Aus: HF-Sender Nr. 2, Februar 1951, S.4

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