Das Neuererwesen – Aus der Geschichte des WF, Folge 15

Das Neuererwesen – Aus der Geschichte des WF, Folge 15

 

Das Foto zeigt die Kolleginnen Schwarz und Fischer, die einen Verbesserungsvorschlag eingereicht hatten. Bestellt wurde das Foto vom Büro für Neuererwesen im März 1964.
Seit 1949 war in der DDR die Neuerer-Bewegung ein weiteres Mittel, mit dem Produktionssteigerungen erreicht werden sollten.
Ein Neuerer war jemand, der einen Verbesserungsvorschlag machte, sei es eine technische Änderung oder eine methodische Verbesserung des Workflows, die dazu führte, dass die Produktionsmenge und/ oder Produktionsqualität gesteigert und/ oder Kosten eingespart werden konnten, am besten alles zusammen.
Mit diesen Verbesserungsvorschlägen sollten im Prinzip mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden. Hauptzweck war zunächst die Verbesserung der Produktion, wozu im Idealfall jeder aus dem Werk durch Vorschläge beitragen sollte. Das war im Prinzip auch eine gute Idee, denn die Grundüberlegung, dass jemand, der tagein tagaus eine Maschine bedient oder Akten abstempelt oder sonst einer Beschäftigung nachgeht, vielleicht eher weiß, was daran störend ist und was man verbessern kann als jemand, der als Konstrukteur am Schreibtisch sitzt und im Prinzip nicht direkt mit dieser Arbeit zu tun hat, ist einleuchtend.
Ein politischer Aspekt war, dass man damit die Überlegenheit des Arbeiter- und Bauerstaates demonstrieren wollte, in dem eben auch Arbeiter oder einfache Angestellte ihre Ideen einbringen konnten und gehört wurden und nicht nur die leitenden Angestellten.
Ein sozialer Aspekt war, dass durch die Einbeziehung der Arbeiter und kleinen Angestellten die Verbundenheit zum Betrieb gefördert werden sollte, denn es ist klar, wenn meine Ideen gehört und umgesetzt werden, fühle ich mich auch diesem Betrieb mehr verpflichtet.
Für die Verbesserungsvorschläge wurde 1950 eine Verbesserungsvorschlags-Kommission (VVK) eingesetzt. Für die Vorschläge, die von der Kommission angenommen wurden, gab es Prämien. Auch damit sollte natürlich ein Anreiz geschafft werden, sich einzubringen.
1951 wurde die Kommission institutionalisiert und eine eigene Abteilung, das Büro für Patente und Verbesserungsvorschläge eingerichtet, das zunächst dem Technischen Direktor unterstand.
1952 hieß es dann Büro für Rationalisierungs- und Erfindungswesen und war der Verwaltung zugeordnet worden, 1957 war das Büro für Erfindungswesen wieder zum Direktorat Technik zurückgekehrt und verblieb dort bis 1989, um 1960 noch unter der Bezeichnung Erfindungs- und Vorschlagswesen , ab 1963 als Büro für Neuererwesen.

1949 wurden insgesamt 77 Verbesserungsvorschläge eingereicht, 38 davon von Facharbeiter, 36 von technischen und drei von kaufmännischen Angestellten. Von diesen 77 Verbesserungsvorschlägen wurden knapp die Hälfte als sinnvoll anerkannt, nämlich 20 von Facharbeitern und 14 von technischen Angestellten eingereichte sowie einer von den drei aus dem kaufmännischen Bereich stammenden. Weitere 14 Vorschläge wurden prämiert, 9 davon von Facharbeitern und 4 von technischen Angestellten sowie ein weiterer aus dem kaufmännischen Bereich, die restlichen 28 wurden abgelehnt.
Hatte das Neuererwesen 1949 recht zaghaft mit insgesamt 77 Vorschlägen begonnen, so gingen 1950 allein bis Ende November 800 Vorschläge ein, von denen Anfang Dezember 1950 502 angenommen und 168 abgelehnt worden waren, die restlichen 130 befanden sich zu dem Zeitpunkt noch in Bearbeitung. Allein die bereits anerkannten 502 Vorschläge sollen dem Werk eine Kostenersparnis von 526 700 Mark beschert haben, es wurden insgesamt 23 421 Mark an Prämien dafür ausgeschüttet.

Vorangegangen war eine intensive Werbekampagne für das Verbesserungsvorschlagswesen. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Betriebszeitung HF-Sender, in der immer wieder Appelle veröffentlicht wurden, Verbesserungsvorschläge einzureichen. Um das Interesse zu stimulieren, wurden z.B. ein Wettbewerb vorgeschlagen, wer mehr Vorschläge einreicht, die Technische Intelligenz oder die Facharbeiter. Exemplarisch wurden einige Verbesserungsvorschläge vorgestellt und herausgestrichen, welche Arbeitserleichterungen sie bewirkt hatten bzw. wie hoch die Kosteneinsparung war. Ende des Jahres wurde eine Auswahl von Neuerervorschlägen aufgelistet. Genannt wurden Einreicher, Themen und die dafür erhaltenen Prämien.
Nicht nur die Betriebszeitung, die ja von der SED-Betriebsparteigruppe (BPO) herausgegeben wurde, sondern auch die Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) nahm sich des Themas an und warb fleißig dafür. Ebenso die Aktivistenkonferenz. Es war aber auch schon bezeichnend für die „Planwirtschaft“, dass bereits Anfang des Jahres 1950als Ziel verkündet wurde, die Zahl der eingereichten Verbesserungsvorschläge um das 100fache von der von 1949 zu übertreffen, was ja dann auch erreicht wurde. War das Ziel 1950 mindestens 770 Vorschläge gewesen, so lag es 1951 schon bei mindestens 1500 Vorschlägen … und, oh Wunder, diese Zahl wurde wieder übertroffen, es wurden nämlich 1951 insgesamt 1508 Vorschläge eingereicht. Rd. 55% davon konnten auch sogleich umgesetzt werden, was mit den restlichen 45% war, berichtet der HF-Sender nicht.
Um diesen – von BPO und BGL – gepuschten Zustrom von Verbesserungsvorschlägen zu kanalisieren, veröffentlichte die Werksleitung, d.h. vor allem der Technische Direktor hin und wieder Themengebiete, wo wirklich dringend Verbesserungen erforderlich waren.

Ganz reibungslos verlief die Einführung des Neuererwesens nicht. Vor allem 1950 zeigte sich die VVK überlastet und die Bearbeitung wurde nicht zügig durchgeführt, was wiederholt zu Klagen führte. Erschwert wurde die Arbeit der VVK auch durch den Berliner Magistrat, denn das Neuererwesen war keineswegs auf das HF konzentriert, sondern sollte in allen Betrieben (VEBs und SAGs) die Produktion vorantreiben, und so erließ der Magistrat 1950 neue Vorschriften dafür, die nun wieder in das Procedere des HF eingearbeitet werden mussten. Danach gelobte die VVK aber, dass alle eingereichten Vorschläge innerhalb von 4 Wochen bearbeitet werden sollte. Aber auch das geschah nicht immer.
Ein weiterer Quell des Ärgernisses war die Prämienberechnung, die nicht immer für den Einreicher akzeptabel war. Generell wurde eine (teilweise recht fiktive) Kostenersparnis der Prämienberechnung zu Grunde gelegt. … So kam es auch vor, dass der Einreicher eine Nachkalkulation verlangte und damit auch hin und wieder erfolgreich war.
Auch war es oft ein weiter Weg von der Anerkennung bis zur Umsetzung eines Vorschlags, da konnten manchmal auch Jahre ins Land gehen. Sei es, weil sich keine Abteilung für die Umsetzung zuständig fühlte, sei es, weil es an Material mangelte oder Ausgaben dafür nicht im Budget vorgesehen waren …

Dass bei dieser Tonnage-Ideologie –die Aktivstenkonferenzen forderten ja vor allem eine hohe Quantität an Vorschlägen und nicht unbedingt eine hohe Qualität – wohl auch Verbesserungsvorschläge ausgewählt wurden, die in Wirklichkeit gar keine Verbesserungen war, dürfte nicht nur das eine Mal passiert sein, als sich der Leiter der Entwicklung von Telegrafie-Messgeräte im HF-Sender Nr. 8 vom Juli 1950, S. 4 über einen Vorschlag aus dem OSW beschwerte, der dort als Neuerung gefeiert und prämiert worden war, während das NEF schon 1948 diese Idee auch gehabt hatte, sie aber als wenig zielführend verworfen hatte. Er mahnte: „Das Einbringen und Bearbeiten der Verbesserungsvorschläge darf keine statistische Angelegenheit sein. Die Vorteile für unsere Volkswirtschaft müssen streng sachlich beurteilt werden. Welche große Qualifikation muss ein Konstrukteur haben, um eine Prämie von 250 DM zu erhalten! Das betriebliche Vorschlagswesen darf nicht durch Fehlurteile diskriminiert werden. Es ist auch stets zu prüfen, inwieweit der Verbesserungsvorschlag zu den beruflichen Pflichten gehört und der Vorschlag lediglich die Qualifikation des Kollegen bestimmt.“

Wie weit seine mahnenden Worte Gehör fanden, ist schwer nachzuvollziehen, ebenso, wie groß der der materielle Nutzen der Neuererbewegung nun wirklich war, aber da diese Einrichtung bis zur Wende 1989 beibehalten worden ist, muss sie doch als wichtiges Produktionselement gesehen worden sein, und wenn es nur die Bindung der Belegschaft an den Betrieb förderte.

Foto: https://berlin.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=57893&cachesLoaded=true&fbclid=IwAR3OT4q2du78W9QkVXxB8a1dN1Ss1_bgky0bgKMZdnJuP5qkwGGHO67yFnM

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