In der Oktoberausgabe 1950 des HF-Senders, der 11. Ausgabe der Betriebszeitung überhaupt, taucht erstmal der Begriff ‚Aktivistenplan‘ auf. In dem Artikel berichtete der HF-Sender über eine Pressekonferenz, auf der Rudolf Kirchner, stellv. Vorsitzender des Bundesvorstandes des FDGB, über den Massenwettbewerb der volkseigenen Wirtschaft der DDR im IV. Quartal gesprochen hatte. Einer der Wettbewerbskriterien war der Aktivistenplan zum Kampf gegen alle Produktionsverluste, der neun Punkte vorsah:
„1. Die Einsparung von Grund- und Hilfsstoffen.
2. Pflege der Maschinen und Werkzeuge.
3. Erreichung qualitativ guter Produktion durch Verringerung des Ausschusses und bessere Gütekontrolle.
4. Einsparung von Transportkosten durch Einbeziehung der Transportmittel in den Wettbewerb.
5. Weitere Mechanisierung und Verbesserung des Arbeitsprozesses.
6. Bestmögliche Ausnutzung der Arbeitszeit.
7. Kampf gegen falsche Normen durch Erstellung von technisch begründeten Arbeitsnormen.
8. Materielle, kulturelle und soziale Verbesserungen der Lebenslage der Belegschaft.
9. Senkung der Selbstkosten und die Kontrolle der Durchführung des Aktivistenplanes.“
Obwohl das HF kein VEB-Betrieb, sondern eine SAG war, sollte der Aktivistenplan auch im HF realisiert werden. Dazu wurde eine Planbrigade zusammengestellt, die sich in der folgenden Ausgabe des HF-Senders, Nr.12, November/ Dezember 1950, mit dem rd. 320 Wörter umfassenden Artikel „Unser Aktivistenplan“ an die Belegschaft wandte. Nicht weiter erklärt wurde, wer Mitglied dieser Planbrigade war und wer die Mitglieder ausgewählt hatte, im HF-Sender war sie einfach da.
„Mit diesen Zeilen möchten wir ein Thema berühren, das auch in unserem Werk eine Rolle spielt, und zwar den Aktivistenplan. Was verstehen wir eigentlich unter Aktivistenplan? Sicherlich meinen viele Kollegen, wieder eine Neuerung, wo selbst die Urheber nicht einmal wissen, was sie damit meinen und noch, weniger, was sie damit anfangen sollen. Doch hier irren die Kollegen. Mit diesem Plan wollen wir allen Produktionsverlusten auf den Leib rücken. Auf Grund dessen werden wir in den nächsten Tagen in unserem Werk eine rege Diskussion entfachen, welche die Mängel und Schwierigkeiten, die innerhalb unserer Produktion auftauchen, klarstellen sollen. Aber nicht nur klarstellen, sondern auch beheben müssen wir sie, wenn wir den Kampf gegen alle Produktionsverluste gewinnen wollen. Also erstellen wir einen Plan, der alle Mangel beinhaltet und versehen ihn mit einem Termin, wann der Fehler behoben sein muss, und machen einen Kollegen aus der zuständigen Abteilung verantwortlich. Niemals darf ein solcher Plan isoliert erarbeitet werden, sondern sein Erfolg hängt davon ab, inwieweit die gesamte Betriebsbelegschaft mithilft, daran zu arbeiten. Hier kann und soll jeder von seinem Mitbestimmungsrecht ‘’Gebrauch machen. Mit folgenden Fragen ist die Planbrigade an euch herangetreten:
- Was wird nach deiner Meinung in unserm Werk falsch gemacht und was kann verbessert werden?
- Wie können die Arbeitsmethoden geändert und verbessert werden?
- Wo und wie kann in unserem Werk gespart werden?
- Worüber ärgerst du dich in unserem Werk?
- Glaubst du an dem richtigen Arbeitsplatz zu stehen oder würdest du wo anders besser eingesetzt sein?
- Was bedarf verwaltungstechnisch einer Vereinfachung und Verbesserung?
- Welche kulturellen und sozialen Verbesserungen sind notwendig?
- Was gefällt dir an unseren Betriebsversammlungen und an unseren Gewerkschaftstagen nicht?
Je ernster ihr die Beantwortung der an euch gestellten Fragen nehmt, umso besser wird unser Plan, und nicht nur der Plan, sondern auch unsere Produktion und damit unser Lebensstandard.“
In der gleichen Ausgabe gibt es auch noch einen Bericht über einen Erfahrungsaustausch der Brigaden im HF, der am 9. November 1950 stattgefunden hatte. Über den Erfolg dieses Erfahrungsaustauschs vermerkte der Verfasser des Berichts, Gerhard Achtsnicht, ein engagierter Mitarbeiter der Betriebsgewerkschaftsleitung, lakonisch: „Die Sitzung selbst kann zwar nicht als großer Erfolg verbucht werden, war aber dennoch in vielen Punkten aufschlussreich.“ U. a. wurde hier auch der geplante Aktivistenplan vorgestellt. Achtsnicht schreibt dazu: „Jeder Kollege sollte dabei von seinem Mitbestimmungsrecht Gebrauch machen. Wir hoffen und wünschen, dass sich alle Kollegen daran beteiligen, denn jeder hat von seinem Standpunkt aus irgendwelche Mängel festgestellt, die geändert werden müssen. Hier sollen sie alle vorgetragen werden, auch dann, wenn der Kollege schon hundertmal davon gesprochen hat und doch nichts geändert wurde. Hier soll Kritik angesetzt werden, auch harte Kritik, wenn sie berechtigt ist.“
Mit diversen Streamern mit Parolen wie „Ausschöpfung aller BETRIEBLICHEN RESERVEN, DAS IST DER SINN DES AKTIVISTENPLANES“, „Durch das MITBESTIMMUNGSRECHT ZUM AKTIVISTENPLAN!“ und „Du hast das Mitbestimmungsrecht, darum Aktivistenplan!“ warb der HF-Sender für die Unterstützung bei der Bestandsaufnahme der Mängel.
Stolzes Ziel war es, bis zu Stalins Geburtstag am 21. Dezember (1950) den Aktivistenplan erstellt zu haben. In diesem Kontext gab es auch Selbstverpflichtungen. So gelobte die Abt. Organisation und Revision: „Alle Kollegen verpflichten sich, durch freiwillige Haus- und Sonntagsschichten die Vorschläge zum Aktivistenplan aufzuarbeiten.“
Wie viele Vorschläge nun eingegangen waren und wie ehrlich die Antworten ausgefallen waren, berichtet der HF-Sender leider nicht.
Im 2.Jahrgang (1951) des HF-Senders taucht der Begriff Aktivistenplan noch 13 Mal auf, davon zweimal in Februarausgabe , wobei nur Sprüche aus der November/Dezember-Ausgabe 1950 wiederholt wurden, einmal in einer von Gerhard Achtsnicht verfassten Parodie auf die Vorgehensweise (von uns gepostet als 2. Geschichte von Herrn A.) und 10 Mal in einen rd. 735 umfassenden Artikel in der April/ Mai-Ausgabe 1951, in dem sich der Artikel-Verfasser beklagt, dass die Unterplanabteilungen so schlecht arbeiteten und die Fertigstellung des Aktivstenplans verschleppten.
Der Verfasser gab zu, dass mit der Einholung des Meinungsbildes der Belegschaft recht überstürzt und nicht immer systematisch begonnen worden war. Ein Flugblatt war verteilt worden, ein erster Entwurf zirkulierte, aber man hatte auch schllicht und einfach vergessen, die eine oder andere Abteilung überhaupt zu befragen. Trotz der unzureichenden Organisation sollen sogar diverse Vorschläge eingereicht worden sein, die aber größtenteils – nach Meinung des Verfassers dieses Artikel – unbrauchbar waren, weil sie nicht zur Kosteneinsparung beitrugen. Letztendlich formulierten dann drei Mitglieder (das zum Thema Mitbestimmung) der Planbrigade den Aktivistenplan bzw. 12 Teilpläne, die dann von Unterplanbrigaden detailliert fertig gestellt werden sollten … und da liegen sie vielleicht heute noch? So wurde zwar der ‚Rahmenplan‘ termingerecht fertig, aber das war es dann auch …
Und damit endete die Geschichte des Aktivistenplans im HF, jedenfalls ist er danach kein Thema mehr, das in der Betriebszeitung HF-Sender behandelt wird.
Und das, obwohl das Thema „Aktivistenplan“ im „Neuen Deutschland“ weiter medial aufbereitet wurde. Nachdem das Modell Anfang September 1950 auf der 3. Jahrestagung des FDGB vorgestellt worden war, verging in den folgenden Monaten kaum ein Tag, an dem das „Neue Deutschland“ nicht über irgendeinen Betrieb berichtete, der nun einen Aktivistenplan erarbeiten wollte. Insgesamt wurde der Begriff ‚Aktivistenplan‘ von Septemebr bis Jahresende 1950 157 Mal erwähnt, 1952 immerhin noch 155 Mal, wobei da auch öfters dann thematisiert wurde, welche organisatorischen Probleme dabei so auftauchen konnten und wie man die Durchführung am besten kontrollieren sollte. Das HF wurde in diesem Kontext nicht erwähnt im Gegensatz z. B. zum TRO, zu Niles oder dem EAW Treptow. Im 1. Drittel des Jahres 1952 findet sich noch 24 Mal das Stichwort Aktivistenplan im „Neuen Deutschland“, so soll der Aktivistenplan bei den Zeiss-Werken in Jena zu 2,5 Mio Mark Einsparungen geführt haben, aber ab Mai hat auch das „Neue Deutschland“ das Interesse an diesem Thema verloren.
Offensichtlich hatte sich doch die Meinung vieler „Kollegen“ durchgesetzt, dass es sich wieder um „eine Neuerung, wo selbst die Urheber nicht einmal wissen, was sie damit meinen und noch, weniger, was sie damit anfangen sollen“ handele.
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